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Menschen wie du und ich: Resi Ochs Von Claudia Kohlhase

Wer Resi Ochs sieht, der traut seinen Augen nicht. Resi Ochs ist 91, und man könnte glauben, so lange sei sie auch schon auf den Beinen: Die sind so dick, daß man ihre Füße nicht mehr sieht.

Aber trotzdem steht Resi Ochs jeden Tag, den der liebe Gott ihr noch zuschanzt, in ihrem Laden und verkauft nicht die Dinge, sondern bietet sie feil. Als ginge das noch. Auch im Sitzen, eben wegen der Beine. Das ist im Prinzip witzig, denn im Sitzen geht Resi Ochs ganz in ihren Waren auf. Dann steht man da als Kundin, und von irgendwoher unter der Kasse weht eine Stimme und fragt: Was darf's sein? Mein Gott, was für eine Frage? Denn Resi Ochs verkauft nicht irgend was, sondern Sammeltassen, Eierköpfer, Zinnrömer, Klammersäcke, Klatschaffen, Stiefelseidel, Glückwunschwimpel, Kurgastteller, Sinnspruchvasen, Mäusekännchen und Cocktailspießchenkarussells. Ein Schwein, wer Nippes dabei denkt.

Nein, Resi Ochs führt Haushaltswaren. Und faßt den Begriff extra weit. „Vielseitig, aber sehr interessant“ – das ist ihr Motto. Oder auch: „Elegant, aber preiswert.“ So umwirbt sie hinterm uralten Tresen ihre Kundschaft, mal sichtbar, mal unsichtbar, aber immer auf der Hut oder mit Sachkunde. Die Eleganz steckt bei Resi Ochs im Detail, noch lieber im Dekor. Bei den Weihnachtskarten etwa in der Kombination realistische Kerze/gemalter Tannenzweig. Und das alles bloß für 30 Pfennig und mit Verkaufsgespräch.

Wenn sie noch laufen könnte, würde sie einen persönlich zu allem hinführen, um da auf eine Schleife, hier auf ein Echthaarschwänzchen und dort drüben auf die Zwiebel vom Zwiebeldosendeckel zu verweisen. Aber nicht nur wegen der Beine bleibt Resi Ochs sitzen, sondern durchaus auch wegen der Ausmaße ihrer Warenvielfalt. Die muß man sich als einen Niagarafall vorstellen und tief unten Resi Ochs als stilles Wasser. Denn turmhoch klettern im kleinen Laden die Regale und brausen vor Fülle. Bloß Resi Ochs bleibt am Boden und kennt das ja seit 1902, als das Geschäft fast mit ihr zusammen das Licht der Welt erblickte. Seit Kriegsende steht sie hier ununterbrochen, umtost vom Warenschwall, der sich erst an den Schaufensterscheiben bricht. Vielleicht kann sich jetzt auch jeder vorstellen, daß einem in der schmalen Furt zwischen Hunderten turmhoch gestapelter Servierschälchen und Pudelmützendackel mit Echthaarpony ein bißchen seltsam wird. Als wäre hier eine Art Porzellanbabel und würde bei der ersten falschen Bewegung den privaten sowie den allgemeinen Untergang auslösen.

Wenn alle Stricke reißen, also neue Ware kommt, dann setzt Resi Ochs herunter. Dann müssen Lücken her, damit sie wieder neu geschlossen werden können: mit ähnlich eleganten Dingen, am Ende aus China oder von noch weiter.

Über sich spricht Resi Ochs nur ansatzweise: Die Ware ist gefälligst das Interessante, und übrigens sind gerade Löwenkopftöpfe reingekommen oder frisch herabgesetzt, jedenfalls immer eins von beiden. Aber der Hund da auf dem kleinen Foto neben der Kasse, ist das ihrer? Ach der, so ein lieber. Und doch ein Schutzhund. Denn wer das Bild sieht auf der Theke, der ist doch quasi schon vom Anblick her in Schach gehalten. Wenn nicht, doch vielleicht von ganz anderen Sachen.

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