Alles frisch mit THC

Legalize it, don't ideologize it! Eine mahnende Nachbetrachtung in Sachen Hanf, Herer, Heilsbotschaften und Haschrebellen  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die Zeiten wiederholen sich. Die wabernde Synthesizermusik der siebziger Jahre kehrt mit weihevoller Modernitätsgeste als „Trance Dance“ zurück, und auch Hasch ist wieder in. „Komische“ Zigaretten machen schon tagsüber die Runde. Wenn man Freunde in der gewohnten Samstagabendkneipe trifft, ist die erste Frage, ob jemand vielleicht „was zu Rauchen“ dabei habe.

Tagtäglich trifft man auch Leute, die mit leuchtenden Augen von „so einem“ Buch erzählen, einem Werk, in dem sich neue und aufregende Erkenntnisse über Hanf und dessen Wirkstoff THC finden ließen – „Wahnsinn, sag ich Dir, Wahnsinn!“ (O-Ton). Das „Hanf-Buch“ von Jack Herer (Hrsg.: Mathias Bröckers) ist ein Renner. Im September 1993 erstmals auf dem deutschen Markt erschienen, ist es jetzt schon etwa 40.000 mal verkauft worden – und das, obgleich es nur über Versand oder in den 2001-Läden erhältlich ist. Angesichts von soviel Begeisterung möchte man gar nicht meckern, zumal das Buch tatsächlich sehr detailliert und sachkundig eine Kriminalgeschichte des Hanfverbots erzählt. Außerdem setzt es der (zumindest in den USA) fortdauernden Marihuana-Hysterie – sie schreckt auch vor Kampagnen nicht zurück, in denen Bürger mit Kopfgeld geködert werden, ihre kiffenden Freunde und Familienmitglieder zu denunzieren – etwas entgegen.

Bei der positiven Nachricht, daß Hanf sich zur Herstellung von allem und jedem eigne – Medizin, Benzin, Textilien, Papier, Futtermittel, Häuser, Autos, Drogen, Dynamit etc. pp. –, daß es überall angebaut werden könne und zudem noch sehr umweltfreundlich sei, mag man also frohlocken; doch der Argumentationswechsel der „Legalize it!“-Fraktion ist schon ein wenig verblüffend. Ging es bei früheren Legalisierungskampagnen noch ums unangepaßte Hier und Jetzt, um das Recht auf Verschwendung, Rausch und Ausschweifung, das man einer an ihrer Zweckrationalität krankenden Warengesellschaft entgegenstellte, so argumentiert die aktuelle Kampagne mit Argumenten wie Effizienz, Nutzen und Mehrwert, den die bescheidene Pflanze, wenn man sie nur ließe, abwerfen würde. Im Gegensatz zu Tabak, der „mehr Menschen als Aids, Heroin, Alkohol, Autounfälle, Feuer und Mord zusammen“ töte, sei Marihuana nicht nur eine tolle Biomedizin für dies und das, sie verlängere und verbessere selbst das Leben des „normalen“ Kiffers.

Doch geht es ja in dem Buch in erster Linie nicht „um ,Hasch‘ oder ,Marihuana‘, sondern um Hanf, nicht um ,kulturfremdes‘, exotisches Rauschgift, sondern um eine heimische und uralte Pflanze“, die pfiffig darauf drängt, vermarktet zu werden. Denn „jedes dieser [aus Hanf herzustellenden; d.A.] Produkte bedeutet: neue Marktchancen und neue Arbeitsplätze für die stagnierende Wirtschaft... Findige Unternehmer werden die Chance nutzen, neue Produkte auf den Markt zu bringen – und wiederum neue Arbeitsplätze schaffen. Sichere Arbeitsplätze und sichere Einkommen werden dazu führen, daß Häuser, Autos und andere Produkte aus Branchen, die mit dem Hanf an sich nichts zu tun haben, gekauft werden... Durch die im Umlauf befindlichen Hanf-Dollarmilliarden würden die Steuereinnahmen steigen; das vorhandene liquide Kapital würde zu vermehrten Investitionen und einem erhöhten Absatz von Konsumgütern führen.“ Wenn man statt des in seiner Verarbeitung chemikalienabfallträchtigen Holzes Hanf zur Herstellung von Papier nutzen würde, würden auch die Flüsse wieder sauber werden, „und das bedeutet: größerer Fischreichtum, mehr Angler, gewinnbringender Tourismus. Die wunderschönen, gesunden und aufgeforsteten Wälder, selbstverständlich auch die durch den Hanfanbau vor dem Abholzen bewahrten alten Wälder, würden eine ganz natürliche Anziehungskraft auf Urlaubsreisende ausüben.“

Das klingt, als sei es aus einem älteren Treuhand-Werbekatalog abgeschrieben: blühende Landschaften, prosperierende Wirtschaft. Jack Herer ist nicht nur davon überzeugt, Amerika, sondern gleich die ganze Welt durch Hanf retten zu können. „Die Weltwirtschaft würde einen ungeahnten Boom erleben. Die gesamte Menschheit würde sich endlich der Rettung der Umwelt verschreiben, anstatt weiterhin wie bisher auf den Abgrund zuzustürzen.“ Mehr noch: „Verschwinden könnten damit [durch den Hanfanbau!; d.A.] auch die Kriege“, denn: „Alle weltweiten Konflikte sind harte Konflikte um Energie.“ Und die Energieprobleme ließen sich durch Hanföl sowieso lösen.

Aber nicht nur Kriege, nein, auch das Elend der Dritten Welt geht verdrossen nach Hause, wenn der gute Hanf auf den Plan tritt. Genau betrachtet ist das Cannabisverbot nämlich auch hier verantwortlich: 1964 verzichtete Bangladesch in einem Drogenabkommen mit den USA darauf, Hanf anzubauen: „Seitdem leiden die Menschen aus dem Marihuanaland unter Seuchen; sie hungern und sterben an Mangelernährung.“

Spätestens hier, wo Hanf nicht mehr nur als verdrängte Nutzpflanze mit vielen „nützlichen“ Eigenschaften gelobt, sondern als Pflanze propagiert wird, die die Menschheit von allen Übeln heilen kann, bekommt die Hanfpropaganda einen Dreh ins Sektenmäßige: Da wird von einem goldenen Zeitalter geschwärmt, in dem Hanf noch „das Fundament“ sein konnte, „auf dem die stabilsten Kulturen dieser Erde errichtet wurden“. Es gibt bei Herer einen Sündenfall (Prohibition), eine „Verschwörung gegen“ respektive „ein Verbrechen an der Menschheit“ sowie die klassischen Schurken des Politkitsches: „All dies wird ausgeheckt von einer Handvoll wohlhabender Leute und mächtiger Unternehmen und geschieht nur zu deren eigenem Vorteil.“ Es gibt aber auch Millionen Märtyrer für die Sache, Propheten – „Chris ist ein leuchtendes Vorbild, [...] einer der tatkäftigsten, energiegeladensten, sachverständigsten und diszipliniertesten Menschen, die ich kenne“ –, „UmweltsoldatInnen“, die sich auf einem „Kreuzzug“ für die Sache des Hanfes befinden; und natürlich gibt es Erlösung für den Fall, daß Hanf legalisiert wird. Herer ist wortwörtlich überzeugt, „daß Hanf die Menschheit retten kann“ und umgekehrt eine Apokalypse droht, falls die Prohibition aufrechterhalten wird. Dann „werden wir unsere Freiheit und unsere Kultur opfern müssen. Unsere Bücher und unsere Musik werden wir verlieren... Um Amerika marihuanafrei zu machen, müßten wir alle [...] nach und nach auf unsere Bürgerrechte verzichten, und zwar für immer...! Das, meine lieben Freunde, läuft auf nichts anderes als Faschismus hinaus.“

Um die Heilshoffnung, die im Falle der Legalisierung winkt, rechtfertigend zu unterstützen, greift Herer nicht nur auf Umweltgutachten, sondern auch auf ziemlich spacige Ursprungsmythen zurück. Eher schüchtern zunächst – „das chinesische Schriftzeichen für den echten Hanf ist ein großer Mensch. Dies weist auf die enge Verbindung des Menschen zu dieser Pflanze hin“ –, dann aber doch quasi fundamental-biologisch. Denn noch besser als Mami zu Papi paßt die Droge zum Menschen – an sich und überhaupt. Der Mensch ist für Hanf quasi konstruiert; Hanf ist sein Geschick und Schicksal, seine anthropologische Schickung, denn: „Bei näherer Betrachtung der molekularen Strukturen [des Gehirns; d.A] stellt sich heraus, daß THC dermaßen genau in die entsprechenden Rezeptoren paßt, als wären sie eigens zu diesem Zweck geschaffen. Die Vermutung einer uralten Symbiose von Mensch und Pflanze drängt sich geradezu auf.“

Die Forderung nach Aufhebung der Hanfprohibition ist zwar sicher keine Marginalie. Die Hälfte aller im amerikanischen Drogenkrieg verwandten Gelder wird immer noch im Kampf gegen die relativ harmlose Droge ausgegeben; das politische Programm jedoch – Rettung der Erde durch Hanfanbau bei gleichzeitiger Wahrung des westlichen Lebensstils und Beibehaltung der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordung – erscheint, schüchtern gesagt, naiv. Daß die Free-Dope-Genossen einmal eine Nazischrift („Die lustige Hanffibel“) als Werbung für die eigene Sache in Dienst nehmen würden, ist, noch schüchterner gesagt, ein wenig bizarr.

Die religiöse Emphase schließlich, mit der im „Hanf-Buch“ die Nutzpflanze gepriesen wird, erinnert mich an einen Oberkiffer aus den siebziger Jahren, von dem mir ein Hamburger Freund kürzlich erzählte: „Eigentlich saß der den ganzen Tag mit seinen Jüngern in seiner Wohnung und kiffte. Ab und zu gingen sie auch mal auf die Straße und spielten irgendwas. Schnitzten sich Speere aus irgendwelchen Weidenruten und warfen die dann gen Himmel. Dann wies der Chef mit der Hand sehr bedeutsam nach oben. Da sah man irgendeinen Scheiß am Himmel, den er dann gleich erklärte. Das seien fürchterliche Umweltverschmutzungen, die den Planeten bedrohten. Alle staunten mit offenem Mund – ,Jaaa!‘ – und schauten begeistert auf diese wirkliche Umweltverschmutzung am echten Firmament. Klasse, sag ich dir. Und anschließend setzte man sich wieder zusammen in die Wohnung und schaute dem Meister zu, während er einen baute. Er hatte ja das Dope dabei, er war ja derjenige, der vertickte. Klasse war das. Ganz schön cool.“

Jack Herer: „Das Hanf-Buch“. Hrsg.: Mathias Bröckers. 2001 Verlag, 463 Seiten, 30DM.