: Überall Explosionen
Das lyrische Werk einer mutigen Frau – der iranischen Poetin Forugh Farrochsad – jetzt auf deutsch ■ Von Fahimeh Farsaie
Gesündigt habe ich, gesündigt
voller Lust
In seinen feurigen, in seinen heißen
Armen
Gesündigt habe ich mit wilder
Leidenschaft
In seinen starken, festen
Eisenarmen
(„Die Sünde“)
Das Gedicht „Die Sünde“ ist in dem Band „Jene Tage“ enthalten, der das deutsche Publikum erstmals, vermittelt durch die hervorragende Übersetzung von Kurt Scharf, mit der bedeutendsten Poetin der modernen persischen Literatur bekannt macht. „Die Sünde“ gehört zu Forugh Farrochsads früheren Werken, und damit fing alles an. Forugh Farrochsad wagte sich nämlich dorthin, wo in der persischen Literatur bis dahin keine Frau gewesen war: Sie schrieb über ihr Leben und sparte auch ihre erotischen Erlebnisse nicht aus.
„Ich bin glücklicherweise eine Frau“, sagte sie einmal in einem Interview. Dieses Glück war alles andere als ungetrübt. Sie mußte ihr ganzes Legen lang kämpfen, um als Frau und Dichterin anerkannt zu werden: ein Kampf, der ihr fast Hoffnung und Lebensfreude raubte:
Nach so viel Wahnsinn bin ich, die
so rasend liebte
Kaum kann ich's glauben, zur
Vernunft zurückgekehrt
Gestorben ist „sie“ nun, ich bin
unendlich müde
Bin sozusagen ausgebrannt und
wie entleert
(„Verloren“)
Poesie wurde ihre Zuflucht. „Poesie ist für mich wie ein Fenster“, sagte sie in einem Gespräch. „Es öffnet sich automatisch, wenn ich auf es zugehe. Ich sitze da und schaue umher. Dort singe ich, schreie und weine. Ich verschmelze mit den Bildern der Bäume und weiß, daß es auf der anderen Seite des Fensters eine Räumlichkeit gibt. Ich weiß, daß es dort jemanden gibt, der/die mich hört...“
Sie schrieb und schrieb, immer und überall, „in der Küche, an der Nähmaschine“. Sie dichtete über die Fremdheit im Leben, die Einsamkeit des Herzens, über Lust und Genuß, über „ein Fenster, „die Rose“, die „grüne Täuschung“. Vom Publikum schlug ihr überwiegend Ablehnung entgegen. „Verbannung aus dem literarischen Leben“ war das Resultat. Die literarische Öffentlichkeit, in der sie Zuflucht gesucht hatte, wurde zum Tribunal über ihr Leben.
Mit „Sünde“ hatte alles angefangen. Sie war 18 Jahre jung, als sie ihren ersten Gedichtband mit dem Titel „Gefangen“ veröffentlichte. Sie hatte mit 17 einen wesentlich älteren satirisch schreibenden Literaten geheiratet, von dem sie ein Kind bekam. Die Ehe dauerte drei Jahre.
Nach der Scheidung war es ihr verboten, mit ihrem Sohn zu verkehren, der dem Vater zugesprochen wurde. Später vermied der Sohn selbst jede Begegnung mit seiner „Rabenmutter“. Darunter hat Farrochsad ein Leben lang gelitten, ein Leben lang, das nach der öffentlichen Meinung ein einziger Skandal war: „obszöne“ Gedichte, Scheidung, Liebesaffären, uneheliche Beziehungen. Forugh Farrochsads Werke sind im Iran, wie sich denken läßt, immer noch verboten.
Mit dem Gedicht „Die Sünde“ hatte also alles angefangen. Ein dichterischer Widerhall einer Liebesaffäre, der einen Sturm moralischer Entrüstung in den Kritiken hervorrief. Forugh Farrochsad gab aber nicht nach. Im Nachwort der zweiten Auflage ihres ersten Gedichtbandes nimmt sich die damals 21jährige Poetin wie selbstverständlich das Recht, „als Frau ihre Gefühle ebenso offen auszusprechen, wie Männer das in ihren Werken schon immer getan haben, ohne daß dies als ein Angriff auf die öffentliche Moral oder als jugendgefährdend eingestuft worden wäre“.
Sie durchschaute die moralische Wertung ihres Werks als Bigotterie. In ihren Gedichten legt sie die Werte ihrer Angreifer unter die Lupe der Humanität: Sie machen den Menschen zu einem „gefangenen Vogel auf der Erde“.
Ich schaue traurig, staunend auf
dein Angesicht
Die hinter kalten Gitterstäben ich
gefangen bin
Ich träume, einmal käme eine große
Hand
Und ich wär plötzlich frei und flöge
zu dir hin
(„Gefangen“)
Alles hatte mit „Sünde“ angefangen. Aber Forugh Farrochsads Blickwinkel weitete sich. Als 23jährige begann sie, sich mit den sozialen Mißständen auseinanderzusetzen. Sie bezeichnet diese Phase in ihrem Werk selbst als eine „Wiedergeburt“. Durch die Liebesbeziehung zu dem 13 Jahre älteren Schriftsteller und Filmemacher Ebrahim Golestan nimmt ihr Leben eine radikale Wende. Sie macht eine Reihe von Inlands- und Auslandsreisen, entdeckt den Film als Medium künstlerischen Ausdrucks. Sie wirkt in vier Dokumentarfilmen mit, spielt zwei Spielfilmrollen und tritt in einer Pirandello- Inszenierung auf; für ihren Dokumentarfilm über die Leprakolonie in Tabris („Das Haus ist schwarz“) wird sie 1964 in Oberhausen preisgekrönt.
Im selben Jahr legt sie einen Gedichtband mit dem Titel „Wiedergeburt“ vor. Poesie vermischt sich hier mit dem politischen Pamphlet. Die Sehnsucht nach Freiheit und gesellschaftlicher Veränderung wird Thema. Linke Intellektuelle finden allerdings, daß sie in den politischen Unruhen von 1963 nicht radikal genug agiert. Damals gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Schah-Regime und der schiitischen Geistlichkeit (unter der Anführung von Khomeini) um die vom Monarchen verordnete „Weiße Revolution“. Forugh Farrochsad bezieht in diesem Streit nicht Stellung. Für die Linke ist sie eine „Dichterin der Mittelklasse“.
Ihr eigentliches dichterisches Werk, meinte Farrochsad später gegen die allgemeine Lesart, habe nicht mit „Sünde“ angefangen, sondern mit „Wiedergeburt“. Sie glaubte, sie habe ihre vorangegangenen drei Gedichtbände im Zustand des „Nichtwachseins“ geschrieben.
In „Wiedergeburt“ und vollends in „Glauben wir nur an den Beginn der kalten Jahreszeit“ – eine Sammlung, die erst nach ihrem Tod bei einem Autounfall (1967) veröffentlicht wurde – schlägt sie mehr und mehr sarkastische, ja zynische Töne an. Da gibt es keine Spur mehr von den traditionellen, kettenartigen Strukturprinzipien, die seit Ewigkeiten die Lyrik im iranischen Kulturkreis bestimmen. Forugh Farrochsad indes wollte sich von diesen festen Formen nicht mehr einengen lassen.
„Das war ein Glück, daß ich weder in der klassischen Literatur unseres Landes versunken noch von der westlichen Literatur verzaubert war“, sagte sie. Akzentuierter Rhythmus ersetzte die festgelegten Reimschemata. Sie hat die persische Lyrik um viele ungewöhnliche, einst unpoetische Worte bereichert. „Ich interessiere mich nicht für die poetische Vorgeschichte dieses Wortes und jenes Gegenstandes! Das geht mich nichts an, daß bis jetzt keine Dichterin das Wort ,Explosion‘ in ihrem Gedicht benutzt hat. Tag und Nacht sehe ich überall, daß etwas explodiert...“
Niemand denkt an die Blumen
Niemand denkt an die Fische
Niemand will glauben
Daß der kleine Garten stirbt
Daß das Herz des kleinen Gartens
in der Sonne aufgedunsen ist
Daß im Geist des kleinen Gartens
nach und nach
Die Erinnerungen an das Grün
verblassen
Und die Sinne dieses Gärtchens
gleichsam
Etwas Losgelöstes sind, das in der
Abgeschiedenheit des
Gärtchens welkt
[...]
Der Hof unseres Hauses ist
verlassen
Der Hof unseres Hauses ist
verlassen
Den ganzen Tag
Hört man hinter der Tür Geräusche
Von Zertrümmern und von
Explosionen
(„Mein Herz trauert um den kleinen Garten“)
Forugh Farrochsad: „Jene Tage“. Gedichte. Ausgewählt, aus dem Persischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Kurt Scharf. Das Buch ist in der Reihe Bibliothek Suhrkamp erschienen, 124 Seiten, geb., 19.80 DM
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