piwik no script img

Herr Theweleit, übernehmen Sie!

Ingo Hasselbach, Ost-Neonazi und als „Aussteiger“ ein Medienereignis des Jahres 1993, hat ein Buch geschrieben, in dem er viel erzählt, aber so gut wie nichts erklärt  ■ Von Annette Rogalla

Ein Neonazi ist ausgestiegen. Seit einem dreiviertel Jahr läßt er ein Medienspektakel mit sich veranstalten. Nun hat Ingo Hasselbach sein Buch zum Ausstieg geschrieben. Winfried Bonengel führte ihm die Feder, jener Filmemacher, der derzeit mit seinen ahnungslosen Porträtfilmen über deutsche Neonazis durch die Kinos geistert. Er mag Hasselbach geraten haben, die Geschichte seines Ausstiegs in Form eines langen Briefes an den leiblichen Vater zu schreiben, der jedoch nur fünf Monate im Leben des 26jährigen existiert hat. Gleich im zweiten Absatz entschuldigt sich Sohnemann für die öffentliche Selbstschau: „Ich brauchte den Druck, unter keinen Umständen mehr zurückgehen zu können.“

Rückkehr ausgeschlossen, wenn er es nur laut und kräftig beteuert? Hasselbach plätschert durch seine Kindheit, plaudert vom Prenzlauer Berg und den ersten Langhaarigen. Kurz verweilt er in der schwierigen Zeit der Pubertät. Da schreibt er sich Anarcho-Sprüche auf die Jacke, klaut fünfzehn Flaschen Schnaps in der Kaufhalle und fühlt sich bärenstark, wenn er mit anderen Jungrambos auf dem Alex im Suff herumpöbelt. Die östliche Variante von Freiheit und Abenteuer läßt den knapp 18jährigen 1985 im Suff rufen: „Die Mauer muß weg“. Für diesen Spruch wandert Hasselbach zum ersten Mal in den Knast.

Die rechte Karriere beginnt. Warum wurde der stürmische Jugendliche eigentlich Neonazi? Weil die Ehefrau davonlief, die Zwangsarbeit im Knast wenig Aufmunterndes bot, die Mithäftlinge Verlangen nach Männersex hatten und die Wärter doofe Kommißköppe waren. Hasselbach reagiert darauf, indem er sich der Außenwelt verschließt, abschottet und den harten Typ herauskehrt. „Ich glaube, daß diese Eigenschaften, im Knast angeeignet, für das spätere Leben in der Neonaziszene geradezu ideal sind.“ Wieder in Freiheit, kippt er zufällig ein paar Bier mit einem rechten Skinhead, und schon gehört er zur Szene. So einfach wird man zum rechten Kampfschwein und Führer?

Hasselbach vermeidet es, über die Hintergründe der organisierten Rechten zu berichten. Gottfried Küssel, Frank Lutz, Michael Kühnen und wie die Nazigrößen alle heißen, treten unvermittelt im Buch auf. Die ganze Szene, so scheint's, ist eher ein loser Verbund zufälliger Bekanntschaften denn ein Netz straff organisierter Kader. Ingo Hasselbach, der Anfang 1988 in Ostberlin die „Bewegung 30. Januar“ aufgebaut hat, handelt die ideologische Vorarbeit dazu auf drei Zeilen ab: „Wir hielten damals vor allem nationalistische Schulungen ab, lasen verbotene Bücher aus der Nazizeit, sahen illegal besorgte Videos und machten Zukunftspläne.“ So einfach, so spontan und beinahe unbeabsichtigt soll das gelaufen sein? Kein Wort darüber, auf welchem Weg damals die Propagandamaterialien in den Osten kamen. Nicht mit einem Gedanken setzt er sich inhaltlich mit seinem damaligen Tun auseinander. Hasselbach bleibt oberflächlich, er erinnert sich seiner Taten, ohne sie politisch zu analysieren. Billige Glaubenssätze werden als Erklärungen angeboten. Zu Kühnen fühlt er sich hingezogen, weil er „mir das Gefühl gab, selbst wichtig zu sein“.

Mitunter scheinen ihn die Erklärungen aus der Schmalspurpädagogik selbst zu langweilen, dann strickt er ein wenig Männerromantik dazwischen. Da hält Friedhelm Wander, SS-Narr und Fremdenlegionär, Hasselbachs Nachbarin aus Jux eine scharfe Knarre unter die Nase. „Nach diesem Vorfall war ich für die Mieter in meinem Hause Luft“, kommentiert er schnöde und entschuldigt Freund Friedhelm noch auf der Stelle, denn der entzündet doch immer die Kerzen für die Gefallenen.

Auch schön gefährlich sind die Männerbünde, wenn sie sich gegenseitig „killen“ wollen. Dann, wenn Frauen ins Spiel kommen – als allseits verfügbare Wesen. Blondglatze und Blauauge Hasselbach kriegt sie alle, die Mädels seiner Freunde. Und das geht wieder ganz einfach. Und weil Ingo ein toller Hecht ist, bleiben sie bei ihm, „ohne nachzudenken“. Fremdgehen wird mit Prügelstrafe geahndet. Die Frauen haben es „sicherlich verdient“. Die gehörnten „Kameraden“ kommen dann und wann auf die Idee, sich zu raufen. Manchmal beweisen sie sich auch ihre Zuneigung, wenn sie die T-Shirts des anderen als Fetisch klauen und hineinwichsen.

Richtig schlecht wurde Hasselbach angeblich von den Judenwitzen, die Altnazi Heinz Reisz erzählt. Dann waren da noch, 1992, die Morde in Mölln – das ist alles zuviel für ihn. Angesichts solcher Brutalität beschließt Hasselbach den Ausstieg. Eine tiefergehende Begründung bleibt er schludig. Hier jedoch hätte eine der vielen Chancen gelegen, sein Verhältnis zur Gewalt ehrlich und offen zu reflektieren. Oft genug zuvor ist er selber mit dem Baselballschläger durch Berlin gezogen, hat Ausländer und Linke niedergeprügelt. Mord war dabei nie ausgeschlossen. Reiner Zufall, daß nicht er zum Mörder wurde.

Die Nacherzählung seines Lebens beendet Hasselbach mit dem lapidaren Satz: „Fehlende Liebe und fehlende Anerkennung führen zu Frustrationen, die sich steigern können bis zum blinden Haß.“ Er hofft, ein harmonisches Leben führen zu können. Noch ist er auf der Flucht. Alte Kameraden haben ihn auf die Abschußliste gesetzt. Vor seinem Ausstieg wurde er massiv von linken Gruppen gehetzt. Vielleicht war es dieser Verfolgungsdruck und nicht die Gedanken über die Sinnlosigkeit von Gewalt, der ihn aussteigen ließ.

Hasselbach schwimmt auf der Welle publizistischer Effekthascherei. Doch er wurde schlecht beraten; das Buch ist langweilig geschrieben. Trotzdem wird es sich gut verkaufen, vor allem im Osten. Dort werden es ahnungslose Mütter ihren glatzköpfigen Buben unter den Weihnachtsbaum legen. Eine hilflose Aufforderung, sich zu besinnen.

Ingo Hasselbach: „Die Abrechnung – Ein Neonazi steigt aus“. Aufbau–Verlag Berlin, 158 Seiten, 25 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen