Trübe Aussichten für den Arbeitsmarkt

■ Weitere Zunahme der Arbeitslosenzahl in Deutschland - Bundesanstalt rechnet mit einer weiteren Steigerung für 1994 / Exotische Regierungspläne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Nürnberg (taz) – Während die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik auch im November weiter gewachsen ist, suchen Politiker aus der Regierungskoalition verstärkt nach unkonventionellen Gegenmaßnahmen. Ganz oben auf der Hitliste: Arbeitslose sollen als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft zwangsverpflichtet werden. Bis solche Ideen greifen, bleiben die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt erst mal trübe: 3,558 Millionen Arbeitslose registrierte die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA) Ende November. Das sind 35.000 mehr als im Monat zuvor. Für das kommende Jahr ist keine Besserung im Sicht. Bei einem Nullwachstum im Westen rechnet Professor Friedrich Buttler, Chefstatistiker der BA, für 1994 im Jahresdurchschnitt für den Westen mit einer Steigerung der Arbeitslosenzahl „auch um mehr als 400.000“.

Ende November waren in den alten Bundesländern 2,407 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, 49.100 mehr als im Oktober. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich von 7,6 auf 7,8 Prozent, knapp unter dem Rekordniveau der Novembermonate 83 bis 85. Die Rezession im Westen betrifft vor allem den Maschinenbau, die Elektrotechnik und den Straßenfahrzeugbau. Für BA-Präsident Bernhard Jagoda ist die Rezession vor allem ein Problem des verarbeitenden Gewerbes. Daß es nicht noch mehr bergab geht, liegt am prosperierenden Baugewerbe: Die Zahl der Beschäftigten liegt über dem Vorjahresniveau. Ähnliches gilt für den Dienstleistungssektor.

In den neuen Bundesländern waren Ende November 1,15 Millionen Menschen ohne Arbeit. Im Oktober waren es noch 14.100 mehr. Die Arbeitslosenquote sank dementsprechend von 15,3 auf 15,1 Prozent. Die Arbeitslosenzahl im Osten wäre aber um 1,4 Millionen höher, gäbe es nicht die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der BA. 132.000 arbeiten im Osten kurz, 301.000 nehmen an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teil, 226.000 sind in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt, und 806.000 zogen sich mit Altersübergangs- und Vorruhestandsgeld aus dem Erwerbsleben zurück. Gegenüber dem Vorjahr hat der Instrumenteneinsatz um 400.000 abgenommen, die Zahl der Arbeitslosen stieg jedoch „nur“ um 65.000. Ein deutliches Anzeichen dafür, daß viele Menschen die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben.

Um den Eindruck zu erwecken, etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu unternehmen, überbieten sich Regierungspolitiker gegenwärtig in populistischen Vorschlägen. Hier ein kleiner Überblick:

– Arbeitslose als Erntehelfer. In seinem Strategiepapier „zum Abbau der Unterbeschäftigung“ fordert Bundesarbeitsminister Blüm (CDU), deutsche Erwerbslose zu Jobs zu zwingen, die derzeit von ausländischen Saisonkräften angenommen werden. Nur 170.000 Ausländer waren in diesem Jahr als Saisonarbeiter beschäftigt. Erfahrungsgemäß bevorzugen deutsche Großbauern auch – billige – polnische Landarbeiter vor zwangsweise verschickten deutschen Erwerbslosen.

– Die Zumutbarkeitsanordnung müsse strenger angewendet werden. Dies wird von Blüm und Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) gefordert. Nach dieser Anordnung können den Erwerbslosen jeweils nach vier bis sechs Monaten Arbeitslosigkeit Jobs auf einer geringer qualifizierten Stufe angeboten werden. Nach den Erfahrungen der Arbeitsämter gibt es aber noch nicht mal genügend Hilfsjobs für Ungelernte, geschweige denn für Herabgestufte.

– Im Dienstleistungsbereich sollen Jobs zu Niedriglöhnen angeboten werden. Dies schlagen Rexrodt, aber auch Unionspolitiker vor. Rexrodt spricht sich für einen Niedriglohnsektor mit „längeren Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen“ aus. Avisiertes Arbeitsgebiet: Pflege und Betreuung von Älteren und Kindern. Die Bezahlung von Pflegekräften ist allerdings bislang schon sehr schlecht und kann wohl kaum noch unterschritten werden. Bernd Siegler/Barbara Dribbusch