■ Briefbomben in Wien
: Österreich hat es nicht besser

Bisher hat man sich in Österreich immer damit beruhigt, daß die rechtsextreme Szene hier ja nicht zur Gewalt neige, daß hier keine Asylantenhäuser brennen, daß es keine Toten gab. Seit den Briefbomben vom vergangenen Wochenende gilt das nicht mehr – wenn es je stimmte. Immerhin ereignete sich schon vor Jahren ein Brandanschlag auf ein jüdisches Wohnhaus im 2. Wiener Bezirk, Häuser mit Ausländern brannten jüngst auch in Vorarlberg und im Burgenland. Aber niemand starb bisher dabei. Die Exekutive hat alles, was in diese Richtung ging, mehr oder weniger vertuscht. „Gelegentlich prügeln sich in Linz Kurden mit Türken“, war alles, was einem hohen Polizeioffizier dazu einfiel.

Seit den Briefbomben an Pfarrer, Journalisten, grüne Abgeordnete und eine Ministerin steht Österreich kopf. Bundespräsident Thomas Klestil eilte zum Wiener Bürgermeister ins Krankenhaus und beging in der Aufregung eine Freudsche Fehlleistung: „Leider“ seien Politiker von solchen Anschlägen bisher nicht betroffen gewesen. Österreichs politische Klasse ist in Panik. Bisher hat man das „Fremden“-Problem immer als ein Problem der anderen angesehen. Als Haider im Jänner sein Ausländer-Volksbegehren einbrachte und nur sieben Prozent der Österreicher es unterschrieben, wiegte man sich in der Illusion, das Volk sei ja gar nicht so fremdenfeindlich wie die Linken, die Grünen und Magazine wie profil immer behaupteten. Die Lichterprozessionen im Frühjahr schienen das zu bestätigen.

Aber so sehr traute die Regierung dem Frieden wieder auch nicht. Im Sommer, als sie das neue Ausländergesetz durchs Parlament peitschte, übernahm sie etliche Punkte aus Haiders Radikalen-Programm. Österreichs Politiker wollen sich für die Europäische Union qualifizieren, ein starker Ostwall soll das Gesindel vom Balkan von der EU fernhalten. Die Bevölkerung sah dann, wie die Ausländer von den Beamten in den Bezirkshauptmannschaften und Polizeikommissariaten gequält wurden. Lange Schlangen, Schikanen bei Sprache und Dokumentenbeschaffung sollten möglichst viele entmutigen, eine Aufenthaltsbewilligung oder einen Asylantrag zu stellen. Studenten mußten erfahren, daß ihnen ein Stipendium einer österreichischen staatlichen Stelle noch lange keinen Aufenthalt ermöglicht. Sogar alteingesessene Gastarbeiter wurden mit dem Rat nach Hause geschickt, von dort aus einen neuen Antrag zu stellen. All diese Schikanen haben die fremdenfeindlichen Bombenleger ermutigt, gegen die Schwächsten vorzugehen und damit auch die Schwäche der Politiker bloßzulegen.

In ihrer Panik trafen sich die Parteiführer nach dem Anschlag auf den Wiener Bürgermeister Zilk noch am Sonntag nach Mitternacht zu einer Fernsehdiskussion. Die großkoalitionären Regierungspolitiker übten sich in Beruhigungsrhetorik. Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) meinte, man solle sich doch einmal gemütlich zusammensetzen und alles besprechen. Nur zwei gingen das Thema an. Der aus Klagenfurt zugeschaltete Jörg Haider meinte, das alles komme ja doch vom Unmut der Bevölkerung über die vielen Fremden im Lande. Die Liberale Heide Schmidt, aus Haiders Partei ausgetreten, nachdem sie zunächst beim Ausländer-Volksbegehren mitgemacht hatte, antwortete mit einem Satz, den eigentlich die Sprecherin der Grünen hätte sagen sollen: „Es ist kein Zufall, daß das Jahr mit dem Ausländervolksbegehren der FPÖ begann und mit Bomben gegen Ausländerfreunde endete.“ Michael Siegert

Redakteur bei der österreichischen Zeitschrift profil