: ANC wirbt um Privatkapital
Das Wirtschaftsprogramm des African National Congress setzt auf soziale Dienstleistungen und arbeitsintensive Industrie ■ Aus Johannesburg Willi Germund
Nach zweijähriger Arbeit stellte Südafrikas Anti-Apartheid-Allianz African National Congress (ANC) letzte Woche ihr 330 Seiten starkes Wirtschaftsprogramm vor. Aber Trevor Manuel, Chef der Wirtschaftsabteilung in der Widerstandsorganisation, machte deutlich, daß dieser „Rahmen für makroökonomische Politik in Südafrika“ nicht das letzte Wort sein wird: „Wir hoffen, daß das Privatunternehmertum jetzt auch mit einem Papier kommt, damit wir diskutieren können.“
Die Eckpunkte des kurz „MERG“ genannten Programms setzen den Schwerpunkt auf die Forderungen der Bevölkerungsmehrheit. Danach sollen jährlich 2,5 Milliarden Mark für Lehrertraining ausgegeben werden, die jährlichen Ausgaben für die Erziehung sollen von 250 Millionen auf eine halbe Milliarde Mark verdoppelt werden.
Die Autoren schlagen außerdem den Bau von 2.000 Kliniken (Kosten 150 Millionen Mark) sowie ein Basisgesundheits- und Ernährungsprogramm für 500 Milliarden Mark jährlich vor. Der Bau von Wohnungen soll von heute 38.000 im Jahr bis zum Beginn des kommenden Jahrtausends auf 350.000 Einheiten steigen.
Das MERG-Papier gibt sich für die nächsten zehn Jahre mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich weniger als fünf Prozent zufrieden – mit einem jährlichen Zuwachs von 300.000 neuen Arbeitsplätzen. Auf dem Papier sieht dies zwar beeindruckend aus, aber John Sanders, einer der Autoren, gab bei der Vorstellung am Freitag selbst zu: „Das deckt gerade die Zahl der neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Leute ab, reduziert aber nicht den Berg der Arbeitslosen aus den vergangenen Jahren.“ Südafrikas Arbeitslosenrate wird heute auf rund 50 Prozent geschätzt.
Die Ausgaben der öffentlichen Hand für soziale Dienstleistungen in Höhe von heute sieben Milliarden Mark sollen bis zum Jahr 2004 verdoppelt werden. Sie sollen über erhöhte Einahmen durch ein gestaffeltes Mehrwertsteuersystem finanziert werden. Damit würde sich nach den MERG-Kalkulationen der Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt von gegenwärtig elf auf 13 Prozent im Jahr 2002 erhöhen.
Als wichtigsten Wirtschaftsmotor betrachten die ANC-Planer die Privatwirtschaft, die nach Kalkulationen der Autoren rund 60 Prozent zur totalen Wachstumsrate beitragen soll.
Das Papier war ursprünglich im wesentlichen unter dem Einfluß einiger britischer Marxisten und linker Wirtschaftswissenschaftler aus Südafrika zusammengestellt worden. Erst vor einigen Monaten übernahm Vella Pillay die Koordinierung. Der einstige Bankier der „Bank of China“ und Gründer der Anti-Apartheid-Bewegung im englischen Exil trimmte den Bericht auf die neuen Erfordernisse. Im Klartext: Das ANC-Programm soll auch bei Südafrikas Privatunternehmertum Gefallen finden.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. „Ich hatte befürchtet, das Papier würde eine verrückte Wirtschaftspolitik vertreten“, erklärte ein ausländischer Beobachter, „aber die Marxisten haben Kreide gefressen und wenn es auch einige Widersprüche gibt, so stellt es insgesamt doch ein realistisches Programm dar.“
Teilweise aber ist das Papier schon überholt. So wollten die MERG-Planer die südafrikanische Zentralbank noch unter eine starke politische Kontrolle stellen. Das hat die ANC-Wirtschaftsabteilung bereits in einer Stellungnahme abgelehnt. Und auch die Übergangsverfassung garantiert eine weitgehende Unabhängigkeit der Bank.
Relativ weich formuliert der ANC auch seine Forderungen nach einer wirtschaftlichen Entflechtung. 80 Prozent der Aktien an der Johannesburger Börse gehören heute direkt oder inderekt fünf Konzernen. Der mächtigste ist die Anglo-American mit über 40 Prozent Anteil.
Das MERG-Papier schlägt unter anderem die Gründung einer „Capital Issues Commission“ vor, die Unternehmenspläne kontrollieren und autorisieren soll. Sie soll künstliche Martkbeherrschungen verhindern und privates Kapital in Kanäle leiten, die „Nationalen Vorrang“ besitzen. Vor allem will der ANC die Exporte von verarbeiteten Gütern fördern und hofft, zugleich auch auf dem Inlandsmarkt eine arbeitsintensive Industrie ankurbeln zu können.
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