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Auch anmodellierte Hirschkäfer

„Ankäufe auf den Weltausstellungen 1867–1990“: Zur Geschichte des Kunstgewerbemuseums  ■ Von Stephan Schurr

Wenige Texttafeln und Vitrinen – bescheiden, ja kümmerlich, würdigt das Kunstgewerbemuseum anläßlich des 125. Jubiläums seiner Eröffnung die eigene Geschichte.

Unter dem zunächst rätselhaft scheinenden Titel „Ankäufe auf den Weltausstellungen 1867–1990“ wird ein interessantes kulturgeschichtliches Thema behandelt, das man ruhig ein wenig aufwendiger hätte präsentieren können. Aber Bescheidenheit ist bekanntlich eine Zier. Ohnehin ist die Ausstellung offenbar für BesucherInnen gedacht, die Texttafeln und Fotografien nicht abschreckend finden und deren Unterhaltungswert zu schätzen wissen. Lesen muß man viel bei diesem kurzen Abstecher in die Historie – und man kann nichts getrost nach Hause tragen: Es gibt keinen Katalog, kein Faltblatt, kein Zettelchen, nichts.

In guter deutscher Manier ist ein Verein Gründer des Museums. Zweierlei hatten die Vereinsherren unter dem Zylinder mit ihrer Gründung im Sinn. Erstens sollte die Sammlung dem im Zuge der Industrialisierung verlotterten Handwerk wieder ästhetische Maßstäbe vermitteln, und zweitens war ein solches Museum auch für Preußen (London und Wien hatten schon eines) notwendig, Punkt.

Sammlungen von allerlei Gerätschaften wurden also übernommen und der Kunsthandel abgeklappert. Wohlmeinende Bürger trugen das Ihre bei: Ein Herr aus Dresden stiftete Tischdeckchen und Servietten, ein Kammerherr aus Berlin entledigte sich dreier Zeichnungen, und die Königin von Preußen schickte eine aufgeregt posierende Bronzeente und ein Zierväschen (beides ist ausgestellt).

Besichtigen konnte man diese Exponate im Gropiusschen Diorama, einem „Schuppen aus Fachwerk, Brettern, Pappe und Leinwand“, so der erste Museumsdirektor Julius Lessing. Bald jedoch fand der preußische Staat Gefallen an dem Unternehmen. 1875 stiftete der König einen Teil seiner Kunstkammer: Goldschmiede-, Elfenbein- und Nashornarbeiten, Glas, Majolika und Textilien bildeten den ersten wertvollen Grundstock der Sammlung. Nun wurde auch der Etat für Anschaffungen erhöht, und Lessing konnte dorthin fahren, wo es die besten handwerklichen Erzeugnisse aus aller Welt zu kaufen gab: zu den Weltausstellungen.

Aus Paris bringt er 1867 vierhundert Geschenke des ägyptischen Vizekönigs mit sowie zahlreiche Gläser aus Venedigs Werkstätten. Auf allen weiteren Weltausstellungen kaufte der rührige Direktor alles, was er für nachahmenswert befand. Und das kam aus dem Orient, aus dem Nahen und Fernen Osten, aus China und Japan. Die zeitlos schönen Gefäße, Tücher, Dosen, Teppiche, Möbel und Porzellanwaren mit ihrer strengen Ornamentik in stimmigen Farben – sie lassen keinen Zweifel daran zu, woher der gute Geschmack kam. Die Exponate sind Beweis genug. Selbst der Griff eines ägyptischen Palmblattwedels oder ein ostindisches Schachbrett konnten der Ästhetik eines Handwerksmannes an der Spree eine nötige (und bittere) Lektion erteilen.

Schon nach wenigen Jahren besitzt das Kunstgewerbemuseum 30.000 Objekte. 1881 zieht es in den Martin-Gropius-Bau. Nach Gewerbezweigen gegliedert, werden dort, in jeweils eigenen Sälen, mustergültige Gegenstände aus aller Welt ausgestellt. Im Erdgeschoß wird die Geschichte des Kunsthandwerks veranschaulicht.

1893 kann sich Lessing auf der Weltausstellung in Chicago davon überzeugen, daß er mit seinem Verdikt von den amerikanischen „Barbaren und Halbbarbaren“ etwas voreilig gewesen war. Vor allem Lampen kauft er ein, die Arnold von Siemens herrichtet und an die Leitungen anschließt. Zweimal in der Woche können die Berliner die neueste Errungenschaft bestaunen.

Doch die Zeit der Weltausstellungen war um 1900 vorbei. Sie verkamen zu protzigen Leistungsschauen der Nationen. In Paris, wo Lessing beste Art noveau erwarb, bauten die Deutschen ein spätmittelalterliches Rathaus, das der Kaiser mit einem Zimmer Friedrich d. Großen, Potsdam und einem Neurokkoko-Schlafzimmer ausstaffiert. Historistisch war der teutonische Chic. Lessing, der 1908 starb, war für lange Zeit der letzte, der für das Museum Zeitgenössisches kaufte. Erst 1970 wurde wieder begonnen, „Design“ zu sammeln.

Auch das Ziel hat sich geändert. Nicht mehr der Wille des Gründers, „durch vergleichendes Studium von Kunsthandwerk aller Völker und Kulturen eine neue Basis für das Schaffen der Gegenwart zu finden“, ist maßgeblich, sondern die Präsentation der (einzigen) Spezialsammlung für ausschließlich europäisches Kunstgewerbe.

Wer die Geschichte des Museums nun zu kennen glaubt, der sehe sich die Ausstellung trotzdem an, und sei es nur, um eine – pardon – scheußliche Vase mit anmodellierten Hirschkäfern der KPM (1900 hergestellt) zu sehen, oder – auf derselben Etage – eine Neuerwerbung: ein Reisenecessaire aus napoleonischer Zeit, ein wunderbar verschachtelter Haushalt mit 180 Gegenständen in Handkoffergröße.

Kunstgewerbemuseum, Matthaikirchstraße 10, 10785 Berlin. Di.–Fr. 9–17, Sa./So. 10–17 Uhr, bis 30. Dezember 1993.

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