Hochfidele Stereoanlagen Von Claudia Kohlhase

Soll man eigentlich seine Nachbarn kennen? Soll man wissen wollen, wer einen umgibt? Und zwar, als wäre das nicht egal, sondern eine Art Rahmen, am Ende sogar würdig und angemessen der eigenen kleinen Bedeutung? Manche Nachbarn machen es einem natürlich schwer und sind nie da, so daß man niemals erfährt, wer zu einem gepaßt hätte oder wie bedeutend man wirklich ist. Andere wieder machen es einem leicht und besitzen hochfidele Stereoanlagen, so daß man sie auf der Stelle haßt und im Geiste durchlöchert.

Man sieht, es ist eine Frage von Glück, wohin man zieht. Kaum ist man drin, ist alles zu spät, und die Wände fangen an zu sprechen. Speziell die, die mäuschenstill sein sollten. Und jetzt gibt es zwei mögliche Tendenzen. Die eine ist die Tendenz zur inneren Gespensterbildung, die andere die zum äußeren Abenteuer. Bei etwa 17 Nachbarn, die alle mehr oder weniger in Frage kommen, eine sorgfältig zu planende Maßnahme, wozu man Kekse mitnehmen kann.

Jetzt, nachdem alles vorbei ist, war es vielleicht auch gar nicht schlimm. Der mit der E-Gitarre war sogar richtig nett; jedenfalls, als ich ihn endlich gefunden hatte in der zehnköpfigen Wohngemeinschaft. Die aus unerfindlichen Gründen auch immer alle da und froh und munter sind, hauptsächlich nachts. Schließlich haben alle wenig zu tun und darum viel Zeit. Das weiß ich alles von dem mit der E-Gitarre. Und deshalb spielt er ja auch nachts. Das hab' ich irgendwie – jedenfalls, als wir in der WG-Küche saßen und meine Spekulatius aßen – gut verstehen können. Komischerweise später im Bett wieder nicht mehr.

Eigentlich hat mir der mit der E-Gitarre versprochen, gegen Morgen für Ruhe zu sorgen; auch, weil er da selber gerne etwas schläft. Aber da kommt ausgerechnet der einzige, der arbeitet, von der Nachtschicht und muß erst ein bißchen aufdrehen, bevor er abdreht. Das konnte ich auch wieder verstehen und habe mich heimlich geschämt, daß ich nachts nur zu schlafen brauche, also wenn ich könnte.

Am nächsten Tag habe ich bei dem unter mir geklingelt, er hat aber nichts gehört, was bei Tekkno-Pop im Prinzip auch verständlich ist. Zum Ausgleich und gegen Kleinmut bin ich sofort ins rechte Mehrfamilienhaus gegangen und an Herrn F. geraten, der meinen Besuch etwas falsch verstand und nicht nur Spekulatius wollte, sondern auch meinen Vornamen wissen und noch ganz andere Sachen. Wenigstens schwante mir nun, woher die Pornofilme in der Wand kommen. Man kann Herrn F. das quasi nicht verübeln, schließlich, was soll er machen? Schon 15 Monate krankgeschrieben wegen seines einen Arms und deshalb selten außer Haus, wie sich das für einen netten Nachbarn gehören könnte.

Als ich ein wenig fluchtartig der allgemeinen Haustüre zustrebte, ging auf einmal neben mir die „Hitparade der Volksmusik“ wie eine Bombe hoch. So lernte ich Frau Kühn kennen. Eine winzige alte Dame, die doch auch bloß noch ihren Fernseher und 123 Setzkästchen hat. Bei Frau Kühn saß ich ein Weilchen auf dem Sofa, und ich glaube, sie erzählte mir Dinge. Aber wegen der Hitparade habe ich wenig verstanden.

Und jetzt sitze ich wieder hier bei mir, bin erstaunt, wie ruhig es plötzlich ist, und mache mir ernstlich Sorgen, was los ist.