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Handlichkeit boomt

■ Für Eilige und Einfallslose gibt es zu Weihnachten den Geschenkgutschein

„Du meine Güte...es ist ein Gutschein!“ denkt die Beschenkte resigniert. Sie hatte schon gleich so ein ungutes Gefühl gehabt, als sie das auffällig dünne Geschenk unter dem knallgrünen Plastikweihnachtsbaum erblickte. Bis ganz zuletzt hat sie es vor sich hergeschoben, das mit grinsenden Bartgesichtern unter roten Zipfelmützen bedruckte Geschenkpapier zu berühren. Auch die golden eingewickelte Knickebeinnascherei, die sie so gern ißt, und die ihre Cousine mit Tesa auf das Weihnachtspapier geklebt hat, konnte ihren Unmut nicht dämpfen. „Ich hasse Gutscheine!“ wettert sie in lautloser Undankbarkeit. Aber es hilft nichts, jetzt ist Freude angesagt! Grete sieht ihr erwartungsvoll über die Schulter und fordert nonverbal eine spontane Reaktion. Im Hintergrund plärren die Regensburger Domspatzen vom Plattenteller. Warum hat sie sich nur bereiterklärt, Weihnachten mit der Familie zu verbringen? Sie stärkt sich mit einem Schluck heißem Christkindl-Glühwein aus Großmutters selbstbemalter Nikolaustasse und improvisiert entschlossen ihren Dialogtext: „Oh, wie schön – ein Gutschein!“

Grete strahlt. „Mach schon auf!“ drängt sie in schenkerinnenfreudiger Ungeduld. Die Beschenkte löst die Verpackung mit frischlackiertem, zipfelmützenrotem Fingernagel. Die mit goldenen Sternchen übersäte Gutscheinkarte ragt neckisch aus dem mittlerweile freigelegten Briefumschlag. „Das ist doch mal was ganz anderes, oder?“ heischt Grete um Bestätigung und tritt unruhig von einem Bein aufs andere.

„Ja, wirklich, ganz toll,“ äußert begütigend die eben Bedachte und versucht angestrengt, den Text auf dem Gutschein zu entziffern. Sie konzentriert sich. Bloß jetzt nicht an die anderen Gutschein-Flops der letzten Jahre denken! (Gutscheine für Kino-Besuche, wo nur Rambo IV lief oder für ein Essen beim Japaner mit lebensgefährlichem Kugelfisch.) Oder der „Gutschein für eine Geburtstagstorte mit 28 Kerzen!“, weil Heidi ihre Diplomarbeit schreiben mußte und keine Zeit zum Kuchenbacken hatte. „Ich hole es bestimmt nach!“ hatte sie treuherzig versichert, aber 2 Monate später war sie nach Neuseeland ausgewandert.

Nun ja, sie will Vergangenes ruhen lassen, immer im Augenblick leben – ermahnt sich die Beschenkte. Gretes Krakelschrift ist extrem leseunfreundlich. „Fahrt zum Mond“...? Das kann doch wohl kaum stimmen!

Nein, jetzt hat sie es entziffern können: „Frühstücksfahrt auf dem Hal Över – Schiff!“ Sie atmet auf: das ist doch wirklich mal was Reelles. „Vielen lieben Dank“ wendet sie sich aufrichtig an die Cousine. Gutscheine sind eine tolle Erfindung. S.L.

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