Mensch, König!

■ Anrührendes Weltuntergangstheater: „Richard II.“, immer wieder neu gesehen von der Shakespeare Company

Es ist eben doch gar nicht so leicht im Leben, wie mancher meinen möchte, und darum hat uns Herr Shakespeare eine Welt voller Verstrickungen und Zwistigkeiten ausgemalt. So sieht's dann eben auch auf der Bühne aus: Fallstricke, wohin man blickt und tritt; wahre Seilschaften von Fangleinen, Schnüren und Galgenstricken. In diesem herrlich symbolkräftigen Bühnenbild läßt die Bremer Shakespeare Company ihren neuen „Richard II.“ spielen, läßt ihn straucheln und zu guter Letzt natürlich feierlich herniedersinken.

In unnachahmlichem Pragmatismus nutzt die Company die ganze Takelage auch noch als Garderobe, gilt es doch einmal mehr, den fliegenden Rollenwechsel auf offener Szene zu exerzieren. So wird ihr „Richard“ zur tollen Maskerade, wird Historie als Schauspiel vorgeführt – mal komisch, mal tragisch, ziemlich absurd meistens und doch recht unterhaltsam.

Der größte Schauspieler von allen ist dabei der König selbst. Richard II., der Jammervolle, der nicht mal gemeuchelt sondern einfach abgemeldet wird: Ihn setzt Regisseur Rainer Iwersen nicht mehr als Herrscher in Szene, sondern als normalen Sterblichen, der in der neuen Gesellschaft seine Rolle sucht und sucht. Thomas Sarbacher spielt ihn in allen Verkleidungen und Nuancen durch: den Verirrten, den Geschlagenen, den Verlassenen, und immer wieder mal den König; eine Karikatur seiner einstigen Rolle, der alle Würdeformeln nur mehr als Parodie zum besten gibt.

Und der Rest des Staates folgt ihm darin nach. Peter Lüchinger, Christian Kaiser und Christian Dieterle spielen mit kollektiver Virtuosität all die Heißsporne, die Jammerlappen und Vaterlandsverräter, die das Königsdrama auffährt. Dabei halten sie meist feinfühlig die Balance zwischen dem ursprünglichen Pathos der Charaktere und ihren (mehr oder weniger) feinen Übertreibungen.

So gibt es schöne Momente, in denen das Publikum nicht so genau weiß, ob es nun dem Ernst der Lage oder der Komik der feierlichen Sprache folgen soll. Als Herzog Bolingbroke in die Verbannung wankt, der Trauer voll, provoziert sein gebrochener Hymnus „Land of Hope and Glory“ doch einige Lacher unterm Volke.

Aber natürlich sind auch wieder ein paar Rüpelszenen in diesen Shakespeare eingebaut, die ganz eindeutig komisch gemeint sind. Bei aller Tragik der Geschichte läßt Iwersen es manchmal richtig krachen: zum Beispiel, als der Hofschranzenstaat, der dekadente, in seiner ganzen Lächerlichkeit vorgeführt wird. Da ist viel Platz für Derbheiten und schlüpfrige Scherze – warum aber immer wieder schwule Stereotypen ihren Hintern hinhalten müssen, wenn affektiertes Gehabe belacht werden soll, bleibt ein Geheimnis der Theaterwelt.

Mit mehr Augenmaß hat Iwersen, der auch die neue Übersetzung besorgte, das Thema der Zeitenwende aktualisiert. Der Verlust von Sicherheiten, der Zusammenbruch alter Herrschaftsverhältnisse, das Zerbrechen von Ideologien und die Irrungen & Wirrungen des Individuums: All das setzt die Inszenierung, wenn auch ganz unterschwellig, in Beziehung zur Gesellschaft der Gegenwart. Nur an wenigen, kurzen Stellen – als Richard praktisch sein ganzes Königreich verpfändet – bringt Iwersen die modernen Termini des Technokratendeutsch ins Spiel. Dann ist von Privatisieren und Abwickeln die herrschaftliche Rede. Bis das ganze Land am Ende vor die Hunde geht.

Damit das Spiel aber nicht ganz so düster ausfällt, trägt das Ensemble es mit großer Musikalität vor. Mit viel Gefühl für die Stimmungen der Charaktere, für die Melodien der wunderbaren Sprache, für die Rhythmen der Ereignisse. Die Regie bringt alles zusätzlich in Schwung: Die Wirren um das Schicksal Englands sind in eine wahre Choreografie des Tänzelns, Schreitens, Trampelns, Kriechens, Humpelns und Herniedersinkens eingefaßt. Und manchmal trällern die Geschlagenen sogar noch echte Lieder. Kinder- und Klagelieder, Schwüre und Abgesänge. Wie eigentlich das ganze Stück als schaurig-schönes Requiem erklingt. Bis am Schluß ein Gettoblaster aufgefahren wird, dessen monströs verzerrte Bläserstöße das Ende aller Zeit besiegeln. Thomas Wolff

Weitere Aufführungen von „Richard II.“ am 17., 18., 23. und 30. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz