: Deutsche Entschädigungen hat es nie gegeben
■ Inzwischen ist die Frage „durch Zeitablauf erledigt“, heißt es in Bonn
Knapp drei Jahre – von Anfang 1941 bis zu ihrem überstürzten Abzug im September 1944 – wütete die Wehrmacht in Griechenland. Die anfangs 150.000, angesichts des Partisanenkampfes auf 300.000 aufgestockten deutschen Besatzer hinterließen ein ausgeplündertes Land, das sich noch Jahre danach in einem Bürgerkrieg selbst zerfleischte. Mehr als 300.000 der 7,5 Millionen GriechInnen bezahlten die Besatzung mit ihrem Leben. „Vergeltungsaktionen“ wie in Kalavrita gab auch in Distomon bei Delphi und in Orten in Thessalien und auf Kreta. 2.800 Dörfer waren dem Erdboden gleichgemacht, drei Viertel der Handelsflotte zerstört und ein Großteil der Transportmittel – von Eisenbahnen über Lastwagen bis hin zu Zugtieren – von den Deutschen requiriert.
Von den 60.000 griechischen Juden überlebten nur rund 2.000 den Holocaust. Jahrelang führten sie einen erniedrigenden Rechtsstreit vor bundesdeutschen Gerichten. Die Opfer sollten nachweisen, daß ihr geraubter Besitz, von Möbeln bis zu Schmuck, tatsächlich auf das Gebiet der späteren BRD gebracht worden war. Nur in solchen Fällen fühlte sich der deutsche Staat in der Pflicht. Die meisten Verhandlungen endeten in den sechziger Jahren mit Vergleichszahlungen von durchschnittlich 6.000 DM.
Zu offiziellen Gesprächen zwischen Athen und Bonn über Kriegsentschädigungen kam es nie. Nur einmal, im Jahr 1946, nannte die griechische Regierung überhaupt eine Höhe für die Entschädigungen: 15 Milliarden US- Dollar. Ein damaliger US-Diplomat in Athen, Karl L. Rankin, bezeichnete diese Ziffer als „größenwahnsinnig“. Wenn sie stimmte, so Rankin, hätten die Griechen, gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, „mehr zum Sieg über Hitler beigetragen als jedes andere Land“.
Irgendwann gegen Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre „muß ein ganz komischer Kuhhandel gelaufen“ sein, vermuten Griechenland-Kenner wie der Mannheimer Professor Heinz Richter. Damals sollen „Pauschalzahlungen“ nach Athen geflossen sein, die weder „Entschädigung“ hießen noch jemals bei den Opfern selbst ankamen. Anschließend, so Insider, verzichtete Griechenland auf alle weiteren Ansprüche.
Im Bonner Auswärtigen Amt ist über griechische Entschädigungsforderungen überhaupt nichts bekannt. Inzwischen habe sich die Frage ohnehin „durch den Zeitablauf erledigt“, denn in den vergangenen 45 Jahren seien neue Strukturen in Europa entstanden. Anstelle einer Antwort verweist Bonn auf die „umfangreichen Nettotransferleistungen im Rahmen von EG und den Ausrüstungsbeihilfen der Nato“, bei denen sich Deutschland an vorderster Stelle hervorgetan habe.
Statt staatlicher Wiedergutmachung gab es gelegentlich gut gemeinte Privatinitiativen. So versorgte eine SPD-Bundestagsabgeordnete Jugendliche aus Kalavrita mit Lehrstellen in Deutschland. Ein anderes Mal schickten Deutsche Webstühle an die Überlebenden. Auch zwei ausrangierte Nutzfahrzeuge der Bundespost fanden den Weg an den Golf von Korinth, wo sie wegen Altersschwäche bald verschrottet werden mußten.
Viele Opfer der deutschen Besatzung waren Bauern mit einer denkbar schlechten Lobby im eigenen Land. Die meisten hatten im Bürgerkrieg auf seiten der unterlegenen kommunistischen Partisanen gestanden, weshalb Athen sie noch Jahrzehnte später „wie Bürger 4. Klasse malträtierte“, so Griechenland-Kenner Richter.
Erst seit 1974, nach dem Ende der Militärjunta in Athen, taucht die Forderung nach Entschädigungen im griechischen Parlament auf. Vorgetragen wird sie in der Regel von den parlamentarischen Vertretern der verschiedenen Veteranenverbände der Partisanen. Zuletzt machte sich im November die Kommunistische Partei stark dafür. Mit den mehreren Milliarden, die Deutschland für den Zweiten Weltkrieg zahlen müsse (für den Ersten Weltkrieg seien außerdem rund 685.000 DM überfällig), könne Griechenland einen Teil seiner wirtschaftlichen Probleme lösen, erklärten KommunistInnen.
Griechenlands Außenminister Theodoros Pangalos gab den Oppositionsabgeordneten recht. Seine – vage – Zusage: Er werde das Thema ansprechen, sobald sein Terminkalender dies zulasse. Bis dahin allerdings könnte sich das Problem biologisch erledigt haben. Die letzten Überlebenden stehen hoch im Rentenalter. Dorothea Hahn
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