Seltsamer Mischmasch aus alt und neu

■ Am Freitag eröffnet die Reichsbahn den S-Bahn-Südring / Gebaut wurde nach der Devise, möglichst viel Geld auf möglichst wenigen Kilometern auszugeben / Noch immer fehlen zwei Kilometer Ringgleise

Verboten ist: „Die Herstellung einer leitenden Verbindung durch einen Flüssigkeitsstrahl.“ Dieser Aushang in Bahnhöfen ist eine Warnung an alle, die gern auf S-Bahn-Strecken herumspazieren und gegen die Stromschiene pissen. Das ist auf einem Großteil des Streckennetzes in Westberlin weiterhin ungefährlich, weil dieses stilliegt. Ungesund aber ist es seit einigen Wochen auf dem Südring der S-Bahn zwischen Baumschulenweg und Westend, wo ab kommenden Freitag wieder Züge verkehren.

So kompliziert wie die obige Mahnung hat man beim Senat auch den Wiederaufbau der 1980 stillgelegten Strecke betrieben. Obwohl Gleisanlagen und Bahnhöfe teilweise noch in benutzbarem Zustand waren, hat man sich für einen fast kompletten Neubau entschieden. Die Kosten kletterten von 1988 veranschlagten 400 Millionen auf fast das Doppelte: 775 Millionen Mark. Michael Cramer, seit Jahren bei AL/Grünen Verkehrssenator in Opposition, nennt das eine „Luxusmodernisierung“.

Und tatsächlich krankt der noch vom rot-grünen Senat beschlossene Wiederaufbau an der Manie, möglichst viel Geld auf möglichst wenigen Kilometern auszugeben. Wer allerdings glaubt, es sei ein Versehen, daß die Strecke mit 42 Millionen pro Kilometer teurer war als Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bundesbahn, kennt die Prämissen Berliner Nahverkehrspolitik nicht. Der amtierende Verkehrssenator scheut nichts mehr als gestiegene Betriebskosten durch ein vergrößertes Streckennetz. Deshalb freut er sich über über jede vergeudete Mark des Bausenators, die dieser nicht in neue Strecken steckt.

Natur zerstört – und schön viel Geld verpulvert

Beispiele dieser Politik finden sich entlang des Südrings. In Neukölln ließ man es sich nicht nehmen, häßliche und teure Stahlspundwände entlang der Böschung zu errichten, wo früher Buschwerk die Erde festhielt. Auf dem Abschnitt zwischen den Bahnhöfen Köllnische Heide und Neukölln verbreiterte man die Gleistrasse für breitere Kabelschächte und einen Sandweg neben den Gleisen. Dafür wurde am besonders hohen Bahndamm beim Neuköllner Schiffahrtskanal sämtliche Vegetation vernichtet. Und das gleich beidseitig. Natur unnötig zerstört, schön viel Geld verpulvert.

Beim Um- und Neubau von Bahnhöfen profitieren ausnahmsweise nicht nur die Baufirmen von der Großzügikeit des Senats, sondern an einigen Stationen auch die Kunden. Die Bahnhöfe Heidelberger Platz (früher Schmargendorf), Bundesplatz (Ex-Wilmersdorf) und Hermannstraße wurden „verschoben“, um optimale Verbindungen zu den kreuzenden U-Bahn-Linien zu schaffen. Am Bundesplatz durchbrach man den Beton des U-Bahn-Tunnels und kann nun direkt von beiden Einzelbahnsteigen im gläsernen Fahrstuhl, auf Rolltreppen oder zu Fuß nach oben zur S-Bahn gelangen. Außerdem entfällt durch die Verschiebung der Bahnhöfe (was einem Neubau gleichkam) für viele Benutzer das Überqueren der Straße. An der Hermannstraße kann der S-Bahn-Fahrgast beobachten, wie rund 100 Millionen für eine Kehranlage der U 8 ausgegeben werden, die vielleicht nie gebraucht wird. Statt dessen hätte man die Linie schon jetzt provisorisch bis an die S-Bahn verlängern können, unter der nun noch einige Jahre ein leerer U-Bahnhof schlummert.

Richtig ärgerlich wird die sowieso schon sehr späte Eröffnung des Südrings, wenn man sich anschaut, welche Teile weiter brachliegen. So fehlen im Süden nur rund zwei Kilometer Gleis an einer Vervollständigung des „Rings“. Der Neubau des Abschnitts zwischen den Bahnhöfen Sonnenallee und Treptower Park wurde aber jetzt erst begonnen und wird nicht vor 1995 fertig. Der Bahnhof Sonnenallee liegt solange still. Wer den südlichen Ring befahren will, muß bis auf weiteres einen Umweg über den S-Bahnhof Baumschulenweg machen, wo er dann teilweise sogar extra den Bahnsteig wechseln muß. Gläserner Fahrstuhl und Rolltreppe fehlen hier ausnahmsweise.

Im Norden hat man dagegen den vorläufigen Endpunkt Westend, der im verkehrstechnischen Nirwana liegt, überdimensional mit einer Kehranlage und zwei neuen Empfangsgebäuden ausgebaut. Viel besser wäre es gewesen, das bemängelt auch Michael Cramer, den Ring wenigstens bis zur nächsten Station Jungfernheide weiterzuführen. Hier gibt es eine alte Kehranlage, Anschluß an die U 7 und zur Regionalbahn. Auch hier wird vor 1995 keine S-Bahn rollen. Wann die endgültige Ringschließung zwischen Jungfernheide und Schönhauser Allee über Gesundbrunnen erfolgt, ist offen.

Dieser Frevel geht aufs Konto der Reichsbahn

Am S-Bahnhof Halensee hätte man mit relativ geringem Aufwand die Ku'damm-Brücke unterqueren können und so einen kreuzungsfreien Zugang zu sechs Buslinien erhalten. Statt dessen hat man hier – diese Freveltat geht auf das Konto der Reichsbahn – vor wenigen Wochen das Empfangsgebäude aus den fünfziger Jahren abgerissen. Der Minitränenpalast war ein markantes Zeugnis eines nüchternen Stils, der heute verpönt ist. Dafür markieren nun die widerlichen verschnörkelten Straßenbegleitmöbel, die nicht einmal ihre Funktion als Buswartehalle erfüllen, den Eingang zur City.

Fast alle anderen Empfangsgebäude wurden schon vor Jahren von der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens saniert. Sonst hätte es wahrscheinlich noch mehr Abrisse gegeben. Ihren ursprünglichen Sinn haben die Gebäude durch die Fahrkartenautomaten verloren. Am Heidelberger Platz heißt der Bahnhof „Chocolat“ und ist eine Disko.

Architektonisch stellen die neugestalteten Bahnsteige einen meist unentschlossenen Mischmasch aus alt und neu dar. Die für die Berliner S-Bahn charakteristischen runden Stahlsäulen, das Kleinpflaster und die gekachelten Abfertigerhäuschen sind vielfach verschwunden. Die Bahnsteigdächer hat man von unten mit grellgelben Kunststoffplanken verziert, wo früher Holz reichte.

Der am besten erhalten gebliebene Bahnhof ist Papestraße. Und der soll in den nächsten Jahren abgerissen werden, wenn hier ein Umsteigebahnhof zur Fernbahn entsteht. Vorher hat man noch einen Fahrstuhl eingebaut, der aber nie fertiggestellt wurde. Andreas Becker