: Der unaufhaltsame Aufstieg des Zeljko R.
Der serbische Kriegsheld Zeljko Raznjatović, genannt „Arkan“, erwartet bei den Wahlen am Sonntag einen Durchbruch / Wundersame Wandlung vom Kriminellen zum Yuppie ■ Aus Belgrad Karen Thürnan
Lächelnd tritt er vor die Kameras, glattrasiert und selbstbewußt – als wäre sein Auftritt das Selbstverständlichste von der Welt. Als würde er nicht in halb Europa von der Interpol gesucht. Als hätte er nicht schon etliche Gefängnisse von innen gesehen – zuletzt 1991 in Zagreb. Als stünde er nicht ganz oben auf der Haager Liste der Balkan-Kriegsverbrecher.
„Arkan“, mit richtigem Namen Zeljko Raznjatović, ist der Shooting-Star der serbischen Parteienlandschaft. Bei den Parlamentswahlen am kommenden Wochenende tritt er als Vorsitzender und Spitzenkandidat seiner neuen „Serbischen Partei der Einheit“ (SSJ) an. Das Programm ist einfach gestrickt: Illoyale Albaner sollen „ihre Koffer packen“, „schädliche“ Parteien sollen „eliminiert“ werden. Schon jetzt sind der SSJ mindestens fünf Prozent der Sitze im serbischen Parlament sicher. Denn die Kosovo-Albaner boykottieren die Wahl; im Kosovo entscheiden also nur die Stimmen der Serben. Und die sind empfänglich für starke Sprüche.
Daß sich die SSJ mit dem Kosovo-Thema profiliert, erfreut vor allem einen: den serbischen Präsidenten Milošević, der sich am Kosovo ungern die eigenen Finger verbrennen möchte. Seit Miloševićs Bündnis mit Šešeljs Radikaler Partei endgültig zerbrach, ist der Jungaufsteiger Arkan die neue Mehrzweckwaffe des Präsidenten. Raznjatović bedient das nationalistische Wählerpotential und gräbt dem Radikalenführer Šešelj das Wasser ab. Dafür wird er in Serbien rehabilitiert und protegiert – so lange zumindest, wie er Miloševićs Position nicht bedroht. Und dafür sorgt Raznjatovićs bewegte Biographie als Schwerverbrecher, Handlanger des jugoslawischen Geheimdienstes und Kämpfer für die serbische Sache.
Arkan weiß, welche Wahrheiten das serbische Innenministerium in seinen Archiven hütet – Wahrheiten, die nur ganz wenige Leute kennen. Doch hier beginnen die Fragezeichen. Wer deckt Raznjatović? Woher kamen seine Waffen? Ist die Arkan-Partei nur die raffinierte Inszenierung eines Strategen aus der Parteizentrale der Sozialisten?
Raznjatović selbst machte 1986 anläßlich einer seiner zahlreichen Verhaftungen ein merkwürdiges Geständnis: Er gab zu, Mitarbeiter des jugoslawischen Innenministeriums in der Abteilung für politische Emigranten zu sein; sein Gehalt betrage 90.000 Dinar, und er habe mehrere Dienstwaffen erhalten. Tatsächlich trug er bei seiner Verhaftung einen entsprechenden Dienstausweis bei sich. Die Behörde dementierte, aber Raznjatovićs Aussage stand am nächsten Tag in den Zeitungen. Seither kursieren hartnäckige Gerüchte: So habe Raznjatović jahrelang unter dem direkten Patronat von Stane Dolanc, dem allmächtigen jugoslawischen Innenminister, gestanden; so habe die jugoslawische Staatssicherheit Raznjatović in den 70ern aus diversen Haftanstalten Europas herausgeholt, um ihn zur Liquidierung politischer Emigranten zu dingen; so wird Raznjatović mit den Morden an den beiden kroatischen Emigranten Bruni Brusic (Paris 1978) und Stjepan Djureković (München 1983) und dem kosovo-albanischen Menschenrechtsaktivisten Enver Hadri (Brüssel 1991) in Verbindung gebracht.
Weitere Spekulationen über die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Unterwelt und Staatssicherheit schießen ins Kraut. Der Belgrader Jurist und Kriminologe Vladan Vasiljević konstatiert: Raznjatović ist während des Krieges zum führenden Kopf der Belgrader Unterwelt aufgestiegen. Er sei an illegalen Devisen- und Ölgeschäften, Geldwäschereien, Schutzgelderpressung, am Medikamenten- und Waffenhandel in Serbien und Bosnien beteiligt – alles unter dem Schutz höchster serbischer Instanzen. Vasiljević glaubt nicht daran, daß diese Verfilzungen so bald aufgedeckt werden können: Die Mafia, so die Einschätzung von Kriminologen, findet im Balkan-Krieg ihren idealen Nährboden. Sie nutzt die gesetzlose Zeit, um zu expandieren und sich sozial zu rehabilitieren – unter dem Mantel des Patriotismus.
Dem Ruhm Raznjatovićs tut das keinen Abbruch. Er gilt als Patriot, die staatstragenden Medien geben seine Statements artig wieder. Der Wahlkampf läuft, und die „Serbische Partei der Einheit“, kaum geboren, ist schon nicht mehr zu übersehen. Die Belgrader Innenstadt ist tapeziert mit Raznjatovićs glattrasierter Unschuldsmiene, und auf allen Fernsehkanälen laufen seine Wahlkampfspots. Über eine Million Mark investiert die SSJ in die Wahlkampfwerbung – mehr als alle anderen Oppositionsparteien. Woher das Geld kommt? „Ich hatte auch vor diesem Krieg Geld.“ Kriegsverbrecher? „Warum muß nur ich auf diese Frage antworten? Was ist mit Hiroschima, was ist mit Falkland?“ Wie er Serbien aus der Krise führen will? „Ganz schnell. Ganz schnell.“ Wenn es je ein „Arkansas“-Serbien geben wird, werden vor allem zwei Dinge funktionieren: das Marketing und die Sicherheitskräfte.
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