Des Schweinchens Kern

■ Leichte Kost im Schauspielhaus: Herbert Wernicke inszeniert den „Zigeunerbaron“ von Strauß

Am Grundgesetz der Operette, sie habe mit Klischees zu jonglieren, rührt Regisseur Herbert Wernicke nur ungern. Sein gesungenes Schauspiel nach Johann Strauß' Zigeunerbaron greift vielmehr ins Volle der volkstümlichen Stereotypen und aast damit. Da ist der Zigeuner der stolze, stets eifersüchtige Messerstecher, der beim Händeschütteln die Armbanduhr stiehlt, aber eigentlich ein herzensguter Mensch ist. Der Schweinebauer ist blöd, laut und egoistisch und möchte dem, der seine Interessen durchkreuzt, „die Brust aufreißen und aufs Herz scheißen“, doch ansonsten ist er nicht minder herzensgut und „HansMosert“ froh daher. Und auch der Militär, der im Operettenrausch einen Helmut Kohl durch die Zähne preßt, ist so „liab“ wie burlesk gedrillt.

Mit derartigen „ironischen Typen“ schlägt Wernicke die Operette auf die Seite des Volksschwankes, überdreht sie zeitweilig für den derben Geschmack, behält aber die Kuh im Dorf, oder in diesem Fall besser: das Schwein (Thomas Stache als Zuchtsau Marie Theres) im verfallenen Theater (Bühne und Kostüme ebenfalls vom Regisseur). Die angeblichen politischen Parallelen zum wiedervereinigten Deutschland (Barinkay kehrt nach 25 Jahren aus der Türkei nach Ungarn zurück und beansprucht seinen Erbbesitz von den jetzigen Eignern) liefern nur einen winzigen Beitrag und die Entsorgung vom militärischen Schwulst im Finale des Originals dient auch nur der besseren Unterhaltung.

Diese ist nun zwar geistig anspruchslos, handwerklich aber fein gearbeitet. Die Faxen der Komischen Oper beherrschen Wernickes Schauspieler ebenso wie die kleinen Glanzlichter der Komödie. Christoph Homberger als salondeppelnder Barinkay im Glück, Josef Ostendorfers Zsupan, dessen erotisches Verhältnis zu seiner Sau nur von seiner wort- und dezibelreichen Ungastlichkeit übertroffen wird, und Barbara Sutter als Saffi geben der Klamotte feinen Stoff. Doch auch das restliche Ensemble suhlt sich glücklich in dieser Groteske. Leider macht es sich doch öfters bemerkbar, daß nur zwei ausgebildete Sänger anwesend sind. Dagegen ist die Reduzierung der Orchesterfassung auf ein „Zigeunerensemble“ von Franz Wittenbrink gelungen.

Mit diesem Zigeunerbaron hat das Schauspielhaus ein weiteres Kalenderfensterchen geöffnet: die koalitionsfähige, leichte Kost. Denn mit etwas gutem Willen kann diese Inszenierung als Nadelöhr für die ewig Frohgemuten wie als Erholungsurlaub für den Kopfmenschen gleichermaßen dienen. Da Wernicke keine Antithesen zum Original inszeniert (was letztlich sicherlich spannender gewesen wäre), vielmehr eine sanfte, konventionelle Häutung vornimmt, hat das Haus nun seine erste Nie-Roster-Inszenierung. Till Briegleb