: Was Richtern so alles einfällt ...
■ ... wenn Angeklagte „fahnenflüchtig“ oder „Floristen“ sind
Die deutsche Justiz schreibt manchmal skurrile Rechts-Geschichten. So in zwei Fällen, die morgen zur Verhandlung anstehen: Bei Totalverweigerer Oliver Johns arbeitete ein Richter mit Feldjägern zusammen, der Hamburger Ulrich Prinz muß sich wegen Widerstands verantworten, weil er in einer Verhandlung seine ganz persönliche Rechtsmittelbelehrung nicht abgewartet hatte.
Oliver Johns ist erklärter Totalverweigerer, der seiner Einberufung zum 1. April 1992 nicht nachgekommen war. Dafür verbrachte er im Sommer 1992 21 Tage im Bundeswehr-Bunker, nachdem ihn Feldjäger aufgespürt hatten. Von einem Wochenendurlaub kehrte er nicht zurück - Folge: Haftbefehl wegen Fahnenflucht.
Als Johns Ende September 92 beim Schwarzenbeker Richter Senf zu einem Haftprüfungstermin erschien, gewährte der Jurist dem Totalverweigerer zwar Haftverschonung, hatte aber gleichzeitig die Feldjäger alarmiert, die den jungen Mann vorm Gericht abgriffen und wieder in den Bunker brachten. Ein zweites Mal konnte Johns - ausgerechnet bei einem Kirchgang - flüchten. Diesmal währte die Freiheit länger: Erst am 6. Dezember diesen Jahres fingen die Fahnder ihn vor der Kneipe seiner Eltern ab und steckten ihn in den Lübecker Knast. Morgen hat Oliver Johns nun vor dem Schwarzenbeker Amtsgericht (11.30 Uhr, Saal 1) seinen Prozeß wegen Fahnenflucht.
Ebenfalls morgen (Landgericht Karl-Muck-Platz, Saal 132, 9 Uhr) muß Ulrich Prinz vor Gericht. Er gehörte zu einer Gruppe, die nach der Flora-Park-Räumung 1990 aus Protest den Rathausbalkon besetzt hatten. Das brachte ihnen einen Prozeß wegen Hausfriedensbruch und Beleidigung ein. Zu urteilen hatte damals der berüchtigte Amtsrichter Nils Graue, der auch erwartungsgemäß im Namen des Volkes alle fünf Angeklagten verknackte.
Nach der Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung verließen Prinz und ein Mit-Angeklagter den Saal, wurden jedoch rüde von zwei Wachtmeistern zurück in den Saal gezerrt. Die Anordnung dazu hatte Graue gegeben, weil er jedem Angeklagten einzeln eine Rechtsmittelbelehrung erteilen wollte. Daß Prinz dies nicht hatte abwarten wollen, brachte ihm auf Antrag Graues ein Verfahren wegen Widerstands ein, das vor dem Amtsgericht mit einer Verurteilung zu 20 Tagessätzen endete. Das Landgericht wird nun prüfen müssen, ob das Urteil Bestand hat. Die Verfahren wegen der Rathausbesetzung waren in zweiter Instanz übrigens eingestellt worden. K. v. Appen
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