: Schmuddelkunst
■ Was geschieht mit der DDR-Auftragskunst? Eine Tagung der Treuhand und des Deutschen Historischen Museums
Am ehemaligen Haus der Ministerien der DDR in Berlin, vormals Sitz des Reichsluftfahrtministeriums und heute Sitz der Treuhandanstalt, ist ein monumentales Wandbild des Malers Max Lingner aus dem Jahre 1952 zu sehen. Parteilich, volksverbunden und lebensnah sind Szenen der aufblühenden sozialistischen Gesellschaft ins Bild gesetzt – gemalt auf Meißner Kacheln, die ihre Beständigkeit gegenüber meteorologischen und ideologischen Schwankungen bis auf den heutigen Tag bewiesen haben. Doch eben diese Beständigkeit ist zum Problem geworden. Anstatt gemeinsam mit dem System unterzugehen, ist ein Großteil der Kunst, die in der DDR als Auftragswerk entstanden ist, der Treuhand als Erbmasse zugefallen. Vor allem Malerei, Graphik und Kleinplastiken, die in den Gebäuden der Parteien und Massenorganisationen ausgestellt oder dort gelagert waren (insgesamt ca. 11.000 Gegenstände), sind durch den Verkauf der Gebäude an private Nutzer heimatlos geworden. Dem ging die Entscheidung der Treuhandanstalt voraus, das künstlerische Inventar der Immobilien vom Verkaufsangebot auszunehmen. Wie geht es nun weiter mit der ungeliebten DDR- Kunst, die erst einmal in Depots untergekommen ist?
Zu dieser Frage hat die Treuhand gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum im Berliner Zeughaus letzte Woche eine öffentliche Tagung veranstaltet, in der vor allem Kunstwissenschaftler aus beiden Landesteilen zu Wort kamen. Erklärtes Ziel der Veranstaltung war es, Empfehlungen für den weiteren Umgang mit den Kunstgegenständen auszusprechen. Von Anfang an war man sich einig, daß der Bestand zunächst zu inventarisieren und der Forschung zugänglich zu machen ist. Zu diesem Zweck müssen befristete Stellen geschaffen werden, vielleicht könnte man auch eine Ausstellung mit Bildern aus dem neu entstandenen Fundus bestücken. Auf diese Weise werde, so die Veranstalterin Monika Flacke, ein „Besinnungszeitraum“ geschaffen.
Die eigentliche Brisanz des Treffens bestand nicht darin, praktische Lösungen für den Verbleib der Bilder zu finden, sondern darin, die Kunstgeschichte der DDR in ein neues historisches Bewußtsein einzugemeinden. Daß es sich bei den von der Treuhand aufgebrachten Werken fast durchweg um ästhetische Zumutungen handelt (von der Lenin-Büste bis zum Landschaftsaquarell aus dem Laienkünstler-Kollektiv), erklärt nur zum Teil, warum das Erbe besonders von den westdeutschen Kunsthistorikern so zögerlich angenommen wird.
Der DDR-Künstler – ja gab's den denn?
Martin Warnke, Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, hat am deutlichsten ausgesprochen, worum es eigentlich geht. Als Argument für die Notwendigkeit, die Bilder im Bestand zusammenzuhalten, führte er an, daß die DDR-Kunst durch die Wechselbeziehung mit der bundesdeutschen Kunst ja auch einen bestimmten Wert für „unsere Kunstgeschichtsschreibung“ hätte. Nicht nur die Vorstellung, daß die Geschichte bundesrepublikanischer Kunst unbefleckt von Kitsch, Lug und Trug weitergeschrieben werden könne, schreckt an dieser Äußerung. Mehr noch gibt die Hartnäckigkeit zu denken, mit der sich Warnke gegen die (nicht mehr ganz so neue) Wirklichkeit einer vergrößerten Bundesrepublik sperrt. In seinem Tagungsbeitrag zur Frage, ob es den DDR-Künstler gegeben habe, beklagte der Hamburger Rubens-Forscher die vermeintlich dürftige Quellenlage bei dem Versuch, etwas über die Biographien von DDR-Künstlern zu erfahren. Das fachkundige Publikum mußte ihn über die tatsächliche Literaturlage sowie über die Möglichkeit aufklären, Auskünfte bei Zeitzeugen einzuholen. Beistand erhielt der Professor dagegen von seinem Kollegen Jörn Rüsen mit der ernstgemeinten Bemerkung, wissenschaftliches Herangehen beweise sich in erster Linie in der Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, konkretes Wissen sei sekundär. Ein solches Argument hätte auch unter Rubens- Forschern für Aufregung gesorgt. Um so mehr wurde ein Publikum brüskiert, das darin eine Geringschätzung der DDR-Kunst sehen mußte. Die Diskussion verlief wie oft erlebt: Ost fühlte sich in der Anschauung bestärkt, es würde wieder einmal arrogant und mit geringer Kenntnis geurteilt, West beteuerte wortreich das Gegenteil. Den Vorwurf, die von den Parteien und Massenorganisationen in Auftrag gegebene oder angekaufte Kunst vom Hochstand der nachfolgenden geschichtlichen Entwicklung zu beurteilen, mußten sich nicht alle Vortragenden gefallen lassen. Siegfried Lokatis etwa, ein Westimport der Universität Potsdam, schilderte auf der Grundlage jetzt zugänglicher Akten kenntnisreich die Innenansicht des DDR-Kulturbetriebs am Beispiel der beiden einzigen ostdeutschen Kunstverlage.
Der Ostberliner Kunstwissenschaftler Harald Olbrich hingegen rekonstruierte die kulturpolitischen Bedingungen bei der Entstehung von Auftragswerken und sprach vom „wortgesteuerten Wahn von der vorbildenden Macht des Bildes“ als wesentlichem Motiv der Auftraggeber, die Speisesäle oder Beratungsräume von Betrieben mit bildgewordener Ideologie auszustatten. Beinahe zum Ende der Veranstaltung sorgte noch einmal Martin Warnke für Aufregung, dem nach der Ansicht einiger Exemplare von DDR-Auftragskunst Zweifel an seinem vormaligen Engagement für die Bilder kamen. Sie hätten doch – wegen der ideologischen Verzerrung der Wirklichkeit – nicht einmal einen historischen Zeugniswert. Obwohl der moralische Impuls des Arguments sympathisch ist, beruht die Ansicht auf einem doppelten Mißverständnis: nämlich daß wirkliche Kunst wahrhaftig sei und alles nicht so war, wie auf den Bildern zu sehen. Wer die Realität der Bilder ignoriert, wird schnell vergessen, wie sehr die Wirklichkeit der DDR auch aus Bildern bestand. Peter Walther
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