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„Immerhin besser als dat Arbeitsamt“

■ Bergleute verhindern 10.000 Entlassungen durch Lohnverzicht / 30 zusätzliche freie Tage

Bochum (taz) – Der Lohnkuchen im Ruhrbergbau wird neu verteilt. Durch einen weitreichenden Lohnverzicht in den nächsten zwei Jahren sorgen die 87.000 Beschäftigten im Ruhrbergbau dafür, daß trotz der aktuellen Bergbaukrise der Personalabbau ohne Entlassungen über die Bühne gehen kann. Am Montag abend einigten sich der Unternehmensverband Ruhrbergbau (UVR) und die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) darauf, die drohende Entlassung von 10.000 Bergleuten durch die vorübergehende Einführung von 30 zusätzlichen freien Tagen (Freischichten) in den kommenden zwei Jahren abzuwenden. Diese Arbeitszeitverkürzung wird durch eine Reduzierung der aktuellen Löhne und Gehälter um sechs Prozent und durch den Verzicht auf eine schon während der Tarifrunde 1993 vereinbarten Lohnerhöhung von drei Prozent ausschließlich von den Arbeitnehmern finanziert. Mit ihrer Bereitschaft zum rapiden Lohnverzicht bewegt sich die IGBE auf den Spuren der IG Metall, die erst jüngst bei VW die Einführung der Viertagewoche mit erheblichen Lohneinbußen durchgesetzt hatte. Während der VW-Konzern nach Darstellung der IG Metall diese Arbeitszeitverkürzung aber zumindest teilweise mitfinanziert, kostet der IGBE-Abschluß den Bergbauunternehmen nach Angaben eines Sprechers von Ruhrbergbau „gar nichts“. Die wirtschaftliche Situation beider Branchen ist indes auch unvergleichbar. Der deutsche Steinkohlebergbau hängt vollständig am öffentlichen Tropf. Ohne die jährlich rund zehn Milliarden Mark Subventionen drohte der sofortige Kollaps. Jede zusätzliche Kostenbelastung führte automatisch zu höheren Subventionen.

Brutto verlieren die meisten Bergleute pro Jahr durch den Tarifvertrag etwa 2.500 bis 3.000 Mark. Während die VW-Lösung das monatliche Einkommen unangetastet ließ – die Jahreszahlungen an einen Bandarbeiter wurden um etwa 6.200 Mark gekürzt –, sinkt das Monatseinkommen der Kumpel um rund 100 Mark; der Rest wird vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld abgezwackt. Für die unterste Lohngruppe fällt der Lohnverzicht mit 4,5 Prozent etwas geringer aus. Die Auszubildenden, die alle einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten werden, bekommen monatlich 65 Mark weniger. Für die Bergleute kam der Abschluß nach wochenlangen hitzigen Diskussionen nicht mehr überraschend. Die vorherrschende Stimmung drückte ein Kumpel gestern so aus: „Dat is nich doll, aber besser als dat Arbeitsamt.“

Der Tarifvertrag läuft bis zum 31.12.1995. Danach sollen die Freischichten nach den Vorstellungen der IGBE wieder Schritt für Schritt in Einkommen zurückverwandelt werden. Die gesamte Operation wird vom IGBE-Vorstand ausdrücklich als „vorübergehende Maßnahme zur Vermeidung von Entlassungen“, so IGBE-Sprecher Norbert Römer, betrachtet. In den nächsten zwei Jahren muß der Ruhrbergbau wegen der aktuellen Stahlkrise nicht wie geplant 12.000, sondern 22.000 Arbeitsplätze abbauen. Über den im Bergbau üblichen Weg der Frühverrentung wäre das nicht zu schaffen. Die zusätzlichen Freischichten, durch die – umgerechnet – die Wochenarbeitszeit von 37,2 auf rund 34 Stunden sinkt, schaffen nach Ansicht der Tarifparteien jetzt die „nötige Luft“ (Römer). Die Pressestelle der Ruhrkohle AG erklärte gestern, daß auch der Vorstand und die leitenden Angestellten „selbstverständlich ihre Bezüge um sechs Prozent reduzieren würden“. Den fünf Vorstandsmitgliedern, die insgesamt 4,1 Millionen Mark im Jahr beziehen, dürfte das nicht allzu schwer fallen. Walter Jakobs Seite 10

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