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Wonach ihnen die Ohren jücken

■ Bremer Weihnachtsprediger im Endspurt: Zuckerbrot geben oder doch lieber die Peitsche?

Wenn es irgend geht, sollte man in diesen letzten Stunden vor Heiligabend etwaige seelsorgerische Probleme hintanstellen und auf den Rat des Pastors verzichten: Denn der ist beschäftigt. Mit rauchenden Köpfen und schwitzigen Fingern sitzen die Männer und Frauen Gottes an ihrer diesjährigen Weihnachtspredigt. Zehn, zwanzig mal soviel Besucher wie an normalen Sonntagen werden zu den Weihnachtsgottesdiensten erwartet. Wo sich sonst eher intime Zirkel Unverdrossener treffen, entsteht zu Weihnachten in den Kirchen so etwas wie Öffentlichkeit. Und in der emotional hochaufgeladenen Stimmung kann der Pastor zwischen Zuckerbrot und Peitsche, zwischen einer Orgie des Sentiments und der donnernden Gerichtspredigt viele Wege gehen.

Gott weiß, daß der Stille-Nacht- Rummel in den großen Kirchen der Innenstadt nicht die alleinseligmachende Art ist, die Nacht der Nächte zu begehen. Aber er ist immer noch die beliebteste. 8.000 mehr oder weniger Gläubige strömen in die fünf Gottesdienste im St.Petri- Dom, Pastor Karl- Heinz Daugelat erwartet um 23 Uhr 2.500. Vier Wochen lang geht der Pastor schon mit seiner Weihnachtspredigt schwanger, denn es gilt, den erwartungsfrohen Massen Weihnachten als „Fest der Poesie und der Zärtlichkeit“ zu inszenieren, ja als „Fest der Sentimentalität im besten Sinne“ - und dabei nicht die Botschaft zu vergessen. Jesaja 9: „Das Volk das im Finsteren wandelt / sieht ein großes Licht.“

„Kein Weihnachtsschmus, keine Harmonielüge!“ Bei Pastor Rolf Sänger-Diestelmeier in der Immanuel-Kirche in Walle geht's da anders zur Sache. „Ich will ehrlich sein, den Leuten nichts ersparen,“ sagt er, „Sentimentalität ist Lüge, der unangemessene Ausdruck vorhandener Gefühle.“ Er wird dasselbe Jesaja-Wort, mit dem sein Kollege vom Dom den Menschen „Hoffnungsbilder“ eröffnen will, im Kontext von Utopieverlust, Sozialabbau und Gewalt interpretieren. „Weihnachten ist für viele die einzige Begegnung mit Kirche überhaupt, da will ich nicht predigen, wonach ihnen die Ohren jücken.“

Strenger und immer hart an der sozialen Frage war einst auch Ulrike Hardow, seit nunmehr 12 Jahren Pastorin in der Dreifaltigkeitsgemeinde in der Neuen Vahr. Doch sie ist immer stärker „auf sehr traditionelle Formen zurückgekommen“. Sie gestaltet den Familiengottesdienst am Heilignachmittag mit Musik und Krippenspiel und einer kleinen „Ausdeutung“. „In unserem Stadtteil kennen viele Kinder nicht einmal mehr die Weihnachtsgeschichte,“ beklagt sie; außerdem beobchtet sie, daß immer mehr Kleinkinder zum Kindergottesdienst mitgenommen werden, ja Säuglinge. Ihnen predigt man am besten mit Tannenbaum und klingendem Spiel.

Weihnachten zum Missionieren, zur Werbung für die gebeutelte Kirche nutzen? Auf diesen naheliegenden Gedanken reagieren die meisten Pastoren allergisch. „Sowas war in den 60ern üblich,“ erinnert sich Louis von Zobeltitz, Pastor der Stephani-Gemeinde, „da kursierte unter Pastoren der Bibelspruch –Heute hat der Herr sie mir in die Hand gegeben–.“ Die Nähe zur Innenstadt bedeutet auch Konkurrenz, darum verzichtet er auf einen Nachtgottesdienst zugunsten des Familiengottesdienstes um 17 Uhr: kurze Predigt, ein schönes Krippenspiel, „mit Atmosphäre“. Mit zunehmendem Alter (48) hat er für diesbezügliche Wünsche zunehmend Verständnis.

Der sinnliche Mensch im protestantischen Gottesdienst - er kann nur zuhören. „Er kann aber mit dem Dritten Ohr hören,“ sagt Joachim Wilimzik (St.Pauli in der Neustadt); die Bedeutung von Weihnachten liege ohnehin mehr in den „Erinnerungs- und Hoffnungssymbolen“. Neben kluger Textexegese am Heiligabend um 23 Uhr spricht Wilimzik auch ins „Dritte Ohr“ der Menschen: „Es geht um Trost.“ Er freut sich, wenn er Angerührte sieht oder jemand eine Kopie des Predigttextes haben möchte. Wilimzik ist übrigens einer der wenigen, der den heimlichsten Traum aller Prediger offen zugibt: „Applaus, das wäre mal schön!“ Hat er aber noch nie erlebt.

Burkhard Straßmann

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