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Der Mensch ist an den Fluten schuld

■ Neben starken Regenfällen sind Landschaftsversiegelung und Flußbegradigungen verantwortlich für das Hochwasser

Historische Recherchen zum regelmäßigen Auftreten des Rhein- Hochwassers kann man seit gestern morgen in der Bundesanstalt für Gewässerkunde nicht mehr betreiben. Das Hauptgebäude der Einrichtung in Koblenz mußte wegen Hochwasser gesperrt werden. Die Klos liefen nicht mehr ab, deswegen wurde auch die Bibliothek geschlossen. Seine Kollegen konnten den Computer abschalten, doch Heinz Engel, als Baudirektor im Amt seit Jahren den Flutwellen auf der Spur, steht noch seinen Mann. Sein Fazit: Der Mensch ist an den Fluten mitschuldig, „ein Effekt von Flußbegradigungen und Landschaftsversiegelung ist natürlich da“. Mehr Straßen und Häuser, sterbende Bergwälder und trockengelegte Feuchtgebiete ließen mehr von dem Regenwasser direkt in die Flüsse gelangen. Die Begradigung der Flüsse sowie der Wegfall von Überflutungsgebieten beschleunigen die Hochwasserwellen im Fluß.

Doch zur Erklärung eines solch katastrophalen Hochwassers reichten die Untaten der Menschen allein nicht aus. Engel beruft sich dabei auf Untersuchungen des Kaiserslauterer Wissenschaftlers Gero Koehler. Koehler hat am Oberrhein zwischen der Schweizer Grenze und Rastatt den Einfluß von Straßenbau, Häusern und sonstigen Versiegelungen aufs Hochwasser untersucht. Sein Urteil: „Je größer das Ereignis, desto geringer ist dieser Einfluß.“ Für das Riesenhochwasser der vergangenen Tage müßte das Wasser von einem Großteil der Fläche direkt abfließen, versiegelt seien aber nur 10 bis 15 Prozent der Fläche. Das reicht nicht. „In kleineren Regionen kann das anders aussehen, bei Stuttgart haben wir eine Region untersucht, die war zu 30 Prozent versiegelt.“ Aber grundsätzlich gelte das Diktum. Solch große Hochwasser träten also nur auf, weil es schon vorher viel geregnet hat, der Boden mit Feuchtigkeit gesättigt sei und deshalb alles Wasser aus den Schleusen des Himmels direkt in die der Flüsse geht.

„Katastrophenhäufung, die es früher nicht gab“

Ganz anders sieht die Rechnung bei der Flußbegradigung aus. Der Ausbau des Oberrheins etwa hat dazu geführt, daß der Fluß bei schwerem Hochwasser in den Spitzen noch einmal 10 bis 15 Prozent mehr Wasser mit sich führt. Die Begradigungen, vom preußischen Baumeister Tulla auch zur Bekämpfung der Fieberkrankheiten begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg vollendet, zwangen einen Strom, der 20 km hin und her mäanderte und überall Nebenarme hatte, in sein heutiges Bett und zu häufigeren Hochwassern.

Jetzt werden für Hunderte von Millionen Mark künstlich wieder Überflutungsräume am Oberrhein angelegt, die im Krisenfall bis zu 200 Millionen Kubikmeter Rheinwasser abfangen sollen. Auf das Projekt haben sich die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und die französische Regierung geeinigt. Allein in seinem Bundesland sollten 44 Millionen Kubikmeter Stauraum für kommende Flutwellen geschaffen werden, so der Sprecher des Mainzer Umweltministeriums, Roland Horne. Den Menschen an der Mosel könne man so leider nicht helfen, bedauert Horne. Die Täler seien einfach zu eng, um dort Stauräume zu schaffen. Aber die Leute dort seien auch ans regelmäßige Hochwasser gewöhnt. „Ich bin als kleines Kind regelmäßig im Frühjahr und Herbst im Mostbottich durch die Küche meiner Großmutter geschwommmen.“

Andreas Krug vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) will Versiegelung und Begradigung für die eingetretene Hochwasserkatastrophe zwar nicht allein verantwortlich machen. „Aber die Tendenz ist eindeutig: Ein schlimmes Hochwasser 1947 und dann 1983, 1987, 1988 und jetzt 1993. Das ist eine Katastrophenhäufung, die es früher nicht gab.“ Auf die Schnelle könne man dagegen wenig tun. Neu ausgewiesene Überschwemmungsgebiete, wie von den Bundesländern geplant, seien doch nur eine Bekämpfung der Symptome. „Man muß stärker in die Einzugsgebiete der großen Flüsse gehen und dort Bäche renaturieren.“

Was ziemlich teuer wird. Den kleinen Bächen ihre alten Schleifen wiederzugeben, kostet 300.000 Mark pro Kilometer. Als billige Sofortmaßnahme kann sich Krug vorstellen, die Betonrinnen aus den Bachbetten zu entfernen. Eine Idee, die auch Ulrich Irmer vom Umweltbundesamt bestechend findet. „Die Saar ist teilweise betoniert, es ist kein Zufall, daß es dort besonders arg ist.“ Irmer möchte die Elbe vor der Begradigung bewahren. „Wir sollten die gleichen Fehler an der Elbe nicht machen.“ Hermann-Josef Tenhagen

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