■ Klassik
: Musikalische Trüffelsuche an der Hamburg Oper

Drei neue Aufnahmen mit „Hamburger Entdeckungen“, alle aufgeführt durch Gerd Albrecht und das Philharmonische Staatsorchester, belegen ein weiteres Mal den Hang zur musikalischen Trüffelsuche an der Hamburg Oper. Unter dem Laub der Romantik, wo Albrecht gerne sucht und suchen läßt, fand sich diesmal Schumanns einzige vollendete Oper „Genoveva“, deren 92er Aufführungen in der Musikhalle mitgeschnitten wurden, sowie Unbekanntes der Geschwister Mendelssohn. Außerdem setzt Albrecht seine Resozialisierungskampagne der Werke Alexander Zemlinskys fort.

Nachdem er ja bereits Schumanns „Manfred“ aufgenommen hatte, setzt Albrecht mit der Oper „Genoveva“ (Orfeo, 2 CDs) ein eher unbeachtet gebliebenes Werk des Komponisten nach, über den ja das gehässige Bonmont überliefert ist, er habe als Genie begonnen, um als Talent zu enden. Diesem Spätwerk, das Schumann wohl eher aus Gründen des Stolzes und des Portemonais denn aus Liebe zum Sujet verfasste, mangelt es dann auch an dem nötigen musiktheatralischen Puls. Der Klavier- und Liedkomponist scheint weder den Maßstäben (Wagner/Meyerbeer/Verdi) noch der Dimension seines Vorhabens so richtig gewachsen gewesen zu sein. Großartige Momente wie die Overtüre und einige Arien werden immer wieder verbunden von langen Strecken instabiler Dramatik. Daß Schumann in Zeiten der 48er-Revolution die bieder-kitschige Christenliebe von Genoveva und Siegfried in billigem Pathos erzählt, hat wohl desweiteren dazu geführt, daß das Werk nur wenige Male inszeniert wurde. Auch Albrecht hatte es wohlweislich konzertant gegeben. Die Aufnahme mit Alan Titus, Julia Faulkner, Keith Lewis, Renate Behle und den Ensemble-Sängern Harald Stamm, Carl Schultz und Johann Tilli ist aber sicher nicht mehr, als eine technisch sauber und sensibel vorgeführte Marginalie für große Schumann-Freunde.

Die neue Einspielung von Mendelssohn-Batholdys beliebtester Symphonie, der „Italienischen“ (Capriccio), ist tatsächlich eine Ersteinspielung, denn es handelt sich hier um eine überarbeitete Version von 1834. Strengere Akzentuierungen und weitläufiger komponierte Themen kennzeichnen die Korrekturen. Die Unterschiede sind interessant, aber nicht grundsätzlich und erlauben die freie Wahl zwischen beiden Versionen. Albrechts oft hastiges Tempo ist allerdings Geschmackssache. Vervollständigt wird die Ausgrabung durch zwei Konzertarien von Fanny und Felix , die Hellen Kwon mit dem Herz auf der Zunge singt.

Am verdienstvollsten aber ist sicherlich die „Weltpremiere“ von Zemlinskys Symphonischen Gesängen op. 20 und dreier Ballstücke sowie Ausschnitten aus der Oper „König Kandalus“ (Capriccio). Zemlinsky versprüht insbesondere in dem Ballett „Triumpf der Zeit“ (1903) ungewohnte Herzlichkeit, die man seinem damalig verliebten Zustand zuschreibt. Bei den Lieder aus den 30er Jahren, gesungen von Franz Grundheber, nahm er Texte schwarzer Amerikaner und gab ihnen einen musikalischen Ausdruck, der überzeugt von den ästhetischen Erneuerungen dieser Zeit, dem schlichten Dichten eine eigene Komplexität entgegensetzt. Eine faszinierende Mischung, die in der 1935/36 entstanden Oper, die Albrecht vor seinem Abgang 1997 noch uraufführen wird, wieder mehr durch romantische Anflüge verdrängt wird. Till Briegleb