Von Juden zu Türken

■ „Voll auf der Rolle“ – Jugendstück im türkischen Theater Tiyatrom

Für Wolle gibt es einen einzigen Unterschied zwischen Juden und Türken: „Die Juden haben's bereits hinter sich...“ Beim Spiel im Spiel, also im Theaterstück, das von einer Schultheater-AG einstudiert wird, spielt Wolle (ein dickes Lob für Tuncay Gayrianal) einen überzeugten Hitlerjungen. Aber auch in Wirklichkeit (also auf der ersten Spielebene der Aufführung im Theater Tiyatrom) ist er ein Rassist. „Stern ohne Himmel“ heißt das Stück, das die AG probiert, und so heißt auch der 1983 geschriebene Roman von Leonie Ossowski. Auf diesem wiederum basiert das Stück „Voll auf der Rolle“, das derzeit im türkischen Theater Tiyatrom in deutscher Sprache gezeigt wird.

Wolle bedroht seinen Mitschüler Metin (Dincer Bayram). In der AG zwingt er Metin schließlich, den jüdischen Waisenjungen zu spielen. Während die Schülerinnen und Schüler im Spiel aushandeln, ob sie den von ihnen entdeckten Juden denunzieren, spitzt sich Metins „reale“ Lage zu: Der Vater ist arbeitslos geworden, die Eltern beschließen daraufhin und auch aufgrund zunehmender Ausländerfeindlichkeit, in die Türkei zurückzukehren. Metins Aufenthaltsgenehmigung läuft ab, er aber will dennoch bleiben. Nun verdoppelt sich die Handlung: Die Jugendlichen entscheiden sich, Metin – wie den jüdischen Jungen im Stück – zu verstecken, doch die erwartete Hilfe ihres Lehrers erhalten sie nicht. Wie im Spiel im Spiel.

Bereits vor zehn Jahren wurde das Stück im Gripstheater schon einmal aufgeführt. Damals spielte Yalcin Güzelce den Türken Metin. Jetzt führt der Schauspieler am türkischen Theater Tiyatrom zum erstenmal die Regie. Ganz bewußt hat er sich für das Ossowski-Stück eine Gruppe von jungen LaienschauspielerInnen (19 bis 30 Jahre) ausgesucht. Mit einer schauspielerischen Mischung aus „Humor und Naivität“, so sein Konzept, könne er das Zielpublikum, Schülerinnen und Schüler der 10. bis 12. Klassen, am besten erreichen.

Das Konzept geht, abgesehen von einigen Schwächen, wie dem Anfang, der – sicher aufgrund des Lampenfiebers der DarstellerInnen – allzu laienhaft wirkt. Allzu statisch wirken auch die Regieanweisungen des ziemlich oberlehrerhaften Lehrers Röpke (Necati Seren), die die Theater-AG über sich ergehen lassen muß. Zwar ist seine dozierende Rekapitulation des Stückes im Stück für das Verständnis notwendig, der Bühnenbildumbau während der AG-Proben jedoch hätte ohne weiteres gestrichen werden können: Ein bißchen zuviel „Realität“ im Spiel im Spiel!

Überhaupt hat die Aufführung einen starken Hang zur realistischen Darstellung: Die Kids sind klasse schülerhaft lustlos, ebenso rotzig und trotzig, manchmal vielleicht ein bißchen zuviel. Köstlich vor allem aber ist, neben Hülya Duyar, Kubilay Sarikaya als Peter, der mit seinem plumpen Rap-Tanz und einer verschmitzten Lakonie zum Publikumsliebling avanciert. Urkomisch auch ist die Szene, in der die SchülerInnen ihren Lehrer zu Hause besuchen: Peinlich berührt, schüchtern und doch hektisch werfen sie sich gegenseitig die Stichworte zu. Gelungene Kontraste bietet der herrisch-zackige Süleyman Boyraz, der als Vater, Polizist und Rektor Recht und Ordnung in einer Person auslebt. Petra Brändle

„Voll auf der Rolle“ von Leonie Ossowski. Regie: Yalcin Güzelce. Nächste Aufführung am 26.12., 19 Uhr, Theater Tiyatrom, Alte Jakobstraße 12, Kreuzberg. Kartenvorbestellung unter 615 20 20.