Mit Traktoren gegen militärische Altlast

Seit die Russen nichts mehr kaufen, läßt sich der Niedergang der osteuropäischen Rüstungsindustrie selbst durch Exporte nicht mehr aufhalten / Konversion macht wenig Fortschritte  ■ Von Keno Verseck

Budapest (taz) – Für den ehemaligen tschechischen Finanzminister war der Fall klar. Das Land, so Václav Klaus während des Wahlkampfes im Juni 1992, könne nicht das friedlichste der Welt sein und seine Waffenexporte auf null herunterschrauben. Diese schöne Vision würde der Tschechoslowakei gerade von solchen Ländern aufgezwungen, die selbst überall in der Welt Waffenhandel betrieben. Auf eine noch rhetorischere Formel als der heutige tschechische Ministerpräsident brachte es seinerzeit der stellvertretende slowakische Wirtschaftsminister Stefan Petras. Für jeden nicht gefertigten Panzer, so Petras, müßten 86 Traktoren produziert werden, um den gleichen Gewinn zu erzielen.

Derartige Äußerungen sind seit langem von Politikern aller osteuropäischen Länder, die dem Warschauer Pakt angehörten, zu vernehmen. Das Ende des Kalten Krieges hat den Rüstungsindustrien in Polen, der ehemaligen Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien die große Pleite beschert. Manchen der ehemaligen Bruderländer gingen bedeutende Exporterlöse verloren, anderswo wurden Zehntausende von Arbeitern entlassen, und einigerorten führte das Problem der Rüstungsindustrie gar zu größeren innenpolitischen Krisen.

Ungleich mehr als alle anderen Wirtschaftsbereiche war die osteuropäische Rüstungsindustrie auf sowjetische Bedürfnisse und Nachfrage ausgerichtet. Als die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa die Macht ergriffen, wurde unter anderem mit der Schaffung gigantischer Rüstungsindustrien in agrarisch geprägten Ländern wie der Slowakei, Rumänien und Bulgarien die Industrialisierung forciert.

Die im Verhältnis größte Rüstungsindustrie Osteuropas hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Bulgarien aufgebaut. In ihr waren vor 1989 140.000 Menschen direkt beschäftigt, bis zu 300.000 weitere indirekt. Die Rüstungsproduktion trug mit rund einem Sechstel zum Bruttosozialprodukt (BSP) bei, und allein der Waffenexport in nichtsozialistische Länder brachte dem Land jährliche Einnahmen von 800 Millionen Dollar – etwa ein Viertel aller Exporterlöse.

Heute sitzen die Firmen in solch gigantischen Komplexen wie dem von Kazanlak nach offiziellen Angaben auf Waren im Wert von einer Milliarde Dollar herum. Bulgariens Hauptabsatzmärkte existieren nicht mehr. Schon während der Perestroika senkte die ehemalige Sowjetunion ihre Rüstungsausgaben; der Rückgang der Bestellungen traf vor allem Bulgarien und die Slowakei. Als die „Bruderstaaten“ im Januar 1991 schließlich Weltmarktpreise und Dollarabrechnung einführten, brach der Markt völlig zusammen.

Zwei seiner wichtigsten Kunden aus dem Nahen Osten und Nordafrika verlor Bulgarien, nachdem die UNO Sanktionen gegen sie verhängt hatten: Irak und Libyen. Allein der Irak schuldet dem Balkanland rund eine Milliarde Dollar; die Aussichten, daß Bulgarien das Geld jemals erhalten wird, sind gering. Unterm Strich nichts als rote Zahlen trug dem Land auch der Versuch ein, sich vom Negativ- Image eines skrupellosen Waffenexporteurs zu befreien.

Die erste nichtkommunistische Regierung unter Filip Dimitrov, schob der Praxis, mit allen zu handeln, die zahlen konnten, zwar einen Riegel vor und gewann so verlorenes Ansehen zurück. Doch westliche Länder, die Bulgarien nachdrücklich eine Konversion antrugen, stiegen ihrerseits in die einstigen Märkte der Landes ein. Die Hilfe bei der Umstellung der Produktion auf zivile Güter ist ausgeblieben; Kompensationszahlungen für die Einhaltung der Sanktionen gegen den Irak hat das Land von der UNO nicht erhalten. Die Regierung Dimitrov sah sich nicht nur mit massiven Streiks und Demonstrationen von Rüstungsarbeitern konfrontiert – ihre Politik gegenüber Rüstungsexporten war auch einer der Auslöser ihres Sturzes Ende Oktober 1992.

Von allen osteuropäischen Ländern am wenigsten betroffen ist Ungarn. Dessen Rüstungsproduktion machte selbst im Spitzenjahr 1988 nur drei Prozent des BSP aus. Heute liegt ihr Anteil unter einem Prozent. Als Vorteil erweist sich für das Land, daß sich einige Firmen schon frühzeitig auf die Produktion von weniger technologieintensiven Produkten wie Schußwaffen, Munition, elektrotechnischen Geräten und Fahrzeugen konzentrierten. Nachteilig wirkte sich jedoch die stark gesunkene Nachfrage der ungarischen Armee aus, denn auf den internationalen Märkten ist nur mit wenigen Produkten etwas zu holen.

Die Slowakei dagegen hat, nach Bulgarien, die Krise in der Rüstungsindustrie am härtesten zu spüren bekommen. Der Zusammenbruch der Ostmärkte war für sie verheerend, hatte die Sowjetunion doch jährlich zwischen 80 und 90 Prozent der Produktion geordert. Ähnlich wie in Bulgarien beabsichtigten der einstige ČSFR- Staatspräsident Václav Havel und Außenminister Jiri Dienstbier den Waffenhandel mit anderen Ländern radikal einzuschränken. Das außenpolitische Ansehen der ČSFR litt nämlich nicht nur unter der Tatsache, daß das Land einst achtgrößter Rüstungsexporteur der Welt war, sondern auch durch diverse Geschäfte mit Ländern in Konfliktregionen oder solchen, die von den USA auf der Liste jener Staaten geführt wurden, die den Terrorismus unterstützten.

In der Slowakei wurden die Bemühungen Havels und Dienstbiers als tschechischer Versuch begriffen, die slowakische Wirtschaft zu schwächen. Nach Ansicht von politischen Beobachtern trug dies in gewissem Maße sogar zum Wahlsieg von Václav Klaus in Tschechien und Vladimir Meciar in der Slowakei bei. Letztere konnten zu Recht auf die Naivität derartiger Vorhaben verweisen – was Havel später übrigens selbst einsah: Bekannt wurde etwa 1991 ein Fall, in dem die USA erfolgreich den Verkauf 500 tschechoslowakischer Panzer an Ägypten verhinderten, nur um das Geschäft hinterher selbst zu machen.

Den Niedergang der Rüstungsindustrie hat Meciar trotz aller gegenteiliger Bekundungen jedoch nicht aufhalten können. Offizielle Angaben darüber sind laut Experten allerdings übertrieben. Ende 1992 soll der gesamte Produktionswert nur noch ganze 50 Millionen Dollar betragen haben – gegenüber rund 700 Millionen Dollar im Jahre 1988. Von 52.000 ehemals Beschäftigten sollen bereits 42.000 entlassen sein.

Slowakische Oppositionspolitiker haben darauf hingewiesen, daß die Rüstungsindustrie nur etwa sechs Prozent der gesamten Industrieproduktion im Land ausmache und der Anteil der Rüstungsarbeiter nur ein Viertel aller Arbeitslosen betrage. Hinter den lautstarken Klagen, so die Vermutungen, stecke die Furcht der Rüstungslobby, ihren privilegierten Status zu verlieren, wenn Firmen die Produktion umstellen, durchrationalisiert oder gar geschlossen werden müßten.

Die Konversion, die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion, hat in der Slowakei derweil wenig Fortschritte gemacht. Die von der Regierung geforderte westliche Hilfe ist weitgehend ausgeblieben, Politiker klagen – offensichtlich nicht unberechtigt –, dem Westen ginge es lediglich um die Eroberung jener Märkte, die früher osteuropäische Länder beherrschten.

Andererseits haben Regierung und Staatspräsident Meciar, der nicht nur gute Kontakte zur Rüstungslobby pflegt, sondern auch über eine starke Wählerbasis in den Rüstungsregionen verfügt, keine übermäßigen Anstrengungen zur Konversion unternommen.

Im Juli kündigte die Regierung ein Fünfjahresprogramm an und erließ gleichzeitig den Rüstungsfirmen knapp 100 Millionen Dollar an Altschulden. Finanzminister Julius Toth betonte jedoch, daß jährlich höchstens fünf bis zehn Prozent der Produktion auf zivile Waren umgestellt werde.