: Die Scheinheilige
■ Margarethe Schreinemakers, die TV-Skandalnudel 1993
Mit dem Charisma eines Funkenmariechens präsentiert Margarethe Schreinemakers seit fast zwei Jahren die Sat.1-Talk-Show „Schreinemakers live“. Beinahe wäre sie ja nur eine der unzähligen sogenannten ModeratorInnen im deutschen Fernsehen geblieben: eine aus jener Zwitter-Spezies, zehn Prozent Journalist, 90 Prozent Showmaster, die mit ihren Alukoffern kreuz und quer durch die Republik jetten und in den Studios von Köln, München, Hamburg und Berlin das „X-Magazin“, „Journal Y“ oder „Z-Talk“ ganz locker über den Schirm bringen.
Auch Schreinemakers war auf dem besten Weg dorthin. Vor zehn Jahren begann sie bei diversen Regionalmagazinen des WDR, wechselte danach zur Radio-Bremen- Show „Extratour“, bekam ihre eigenen Spielshows „Wortschätzchen“ und „Chicita“ und gastierte bei der „NDR-Talk-Show“, bevor der Kommerzkanal Sat.1 ihr endlich eine eigene Talksendung gab. Das alles ist im TV-Zeitalter so stinknormal, daß es kaum der Erwähnung wert wäre. Hätte Margarethe Schreinemakers nicht mit dem nach ihr benannten „respektlosen Wochenmagazin“ den TV- Skandal des Jahres 1993 geliefert. Nachdem sie Anfang November nämlich den US-Neonazi Fred Leuchter, einen rechtsextremen Kronzeugen für die „Auschwitz- Lüge“ und Hinrichtungsexperten, eingeladen hatte, löste sie einen Sturm der Entrüstung aus: Die Einladung sei „fatal, taktlos, ignorant“, sie selbst „wichtigtuerisch, scheinheilig und aufgeblasen“, ihr Verhalten insgesamt „instinktlos und stumpfsinnig“. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft – in seltener Entscheidungsfreude – den Nazi Leuchter gar nicht ins Studio gelassen, sondern ihn noch vor der Sendung verhaftet. So kam es nicht zum gemütlichen Zusammentreffen des Neonazis mit den „Wildecker Herzbuben“, einem überzeugten Vegetarier und dem großwildjagenden Bild-Chefredakteur.
Nach Ansicht von Schreinemakers war die Verhaftung Leuchters ein Akt der „Zensur“. Nur für Burdas Bunte galt sie danach noch als „mächtigste Frau Deutschlands“. Und in die hauseigenen Bild- Schlagzeilen kam sie noch mal durch den Auftritt eines „Wunderheilers“. Ansonsten wird jetzt etwas verhaltener gejubelt über die Frau, die sich ebensogern mit Zigarre wie als Muttertier fotografieren läßt.
Wieder mit ihrem Alukoffer durch die Republik zu reisen braucht Margarethe Schreinemakers dennoch so bald nicht. Dazu sind ihre Quoten zu gut. Mit der Präsentation von siamesischen Zwillingen oder Partnertausch- Pärchen kommt sie fast immer auf doppelt so viele Zuschauer wie Gottschalk bei RTL. Achim Baum
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