piwik no script img

Eine Handvoll Rosinen und viele Nieten

■ Ein Strauchritt durch die Firmencharts zeigt: Die Rezession hat voll eingeschlagen

Berlin (taz) – Wie kommt man angesichts von Rezession und fallenden Umsätzen doch noch zu einem gutes Geschäftsergebnis? Ganz einfach, mit Entlassungen. Der Lohnverlust der Arbeitnehmer verwandelt sich in einen Gewinn der Firma; die Kosten der Arbeitslosigkeit von gut 55 Milliarden Mark werden sozialisiert, die Gewinne privatisiert.

Viele europäische Unternehmen haben das bereits vorexerziert, bevor der Baske José Ignacio López beim Wolfsburger Autokonzern VW die Knute schwang. Die globale Wirtschaftskrise, die 1992 in Westeuropa und vor allem in Deutschland voll einschlug, hat die Hitliste der Unternehmen kräftig durcheinandergewirbelt. Die zehn Spitzenreiter der 800 größten westeuropäischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen haben zwar kaum ihre Plätze getauscht, aber zwischen den Bilanzen liegen Welten. Umsatz- und gewinnstärkstes Unternehmen bleibt nach den Jahresabschlüssen von 1992 der britisch-niederländische Mineralölmulti Royal Dutch/ Shell (Umsatz: 149,7 Mrd. DM, Gewinn: 8,3 Mrd. DM), gefolgt von Italiens staalichem Gemischtwarenladen IRI. Das größte deutsche Industrieunternehmen, die Stuttgarter Daimler-Benz AG (U: 98,5 Mrd. DM), rangiert auf Platz drei. Mit der Volkswagen AG (U.: 85,4 Mrd.), Siemens (82 Mrd.) und Mercedes-Benz (66,5) liegen drei weitere bundesrepublikanische Konzerne auf den Plätzen fünf, sechs und zehn. Komplettiert wird die Top ten durch British Petroleum (3.), Fiat (7.), die niederländisch-britische Unilever-Gruppe (9.) und den Schweizer Handelsmulti Metro International, der mit der Asco-Übernahme von Rang 22 auf Platz acht vorstieß.

Die gewinnträchtigsten Unternehmen waren neben Royal Dutch/Shell Unilever (3,6 Mrd. DM Plus), British Telecom (Platz 32, 3,6 Mrd.), der Schweizer Nahrungsmittelgigant Nestlé (Nr. 13, 3,0 Mrd.), die britischen Konzerne Hanson (Nr. 66, 3,0 Mrd.) Glaxo Holdings (Chemie, Nr. 178, 2,8 Mrd.) und B.A.T. Industries (Tabak, Nr. 25, 2,4 Mrd.), der französische Elektromulti Alcatel-Alsthom (Nr. 20, 2,1 Mrd.) sowie Siemens (2,0 Mrd.).

Schwer gebeutelt wurden im vergangenen Geschäftsjahr 1992 vor allem die europäischen Rüstungskonzerne: Die British Aerospace mußte 2,5 Milliarden Mark in den Wind schreiben, die französische Aerospatiale fast 700 Millionen. Die zum Daimler-Imperium gehörende Dasa (minus 0,3 Mrd.) hat diesen Umstrukturierungsprozeß noch vor sich: Sie will jeden siebten Arbeitsplatz abbauen und sechs Werke schließen.

Hießen die Verlierer in der Autoindustrie im Geschäftsjahr 1992 noch die Branchenkrösusse General Motors (Verlust: 36,6 Mrd. DM) und Ford (11,5 Mrd.), werden in diesem Jahr vermutlich Daimler-Benz (2 Mrd. DM Verlust) und Volkswagen (2,3 Mrd.) das Defizit-Ranking anführen.

Auch die Stahlbranche erlitt schwere Einbrüche bei den Umsätzen und Gewinnen – so schloß die staatliche italienische Stahlschmiede Ilva mit einem Verlust von 2,9 Milliarden Mark, Usinor- Sacilor mit 700 Millionen, Klöckner mit 560 Millionen, Hoogovens mit 530 Millionen, British Steel mit 350 Millionen und Krupp-Hoesch mit 250 Millionen.

Schwere Zeiten stehen zudem der Computerindustrie ins Haus. Ein rigoroser Preis- und Innovationskampf bescherte der Branche Milliardendefizite und kostete Zehntausende von Arbeitsplätzen. Branchenführer IBM schlug dabei alle Konkurrenten: Big Blue schloß das Geschäftsjahr 1992 mit dem Rekordverlust von 7,7 Milliarden Mark. Aber auch Digital (Nr. 7 der Welt; 4,3 Mrd. Minus) und die japanischen Hersteller NEC (Nr. 4, 0,6 Mrd.) und Fujitsu (Nr. 5, 0,4 Mrd.) rutschten in die Verlustzone. Die europäischen Hersteller Siemens-Nixdorf (0,5 Mrd. Verlust), Olivetti (0,8 Mrd.), Bull (1,4 Mrd.) und Nokia (0,3 Mrd.), die auf dem Weltmarkt kaum eine Rolle spielen, haben allesamt nur rote Zahlen zu bieten.

Daß die Rezession aber keineswegs nur fallende Gewinne und Verluste nach sich zieht, zeigen die Banken. Die Deutsche Bank, die 1992 ein Rekordergebnis von 1,8 Milliarden Mark erzielte, ist unter die zehn größten Kreditinstitute der Welt vorgerückt – nicht einmal der Spitzenreiter Fuji Bank verdiente so viel. Wenigstens beim Geld hat Deutschland Weltniveau.

Absolute Spitzenreiter im Verprassen von Steuergeldern sind weiterhin die deutschen Staatsunternehmen. Die Europaliste wird unangefochten von Bundesbahn (minus 8,6 Mrd.) und Reichsbahn (minus 6,2 Mrd.) angeführt. Die ostdeutschen Bahnen brachten es als Nummer 691 in Europa sogar fertig, zweieinhalbmal soviel Verluste wie Umsatz (2,6 Mrd.) zu machen – das ist weltrekordverdächtig. Nur der italienische Sanierungsfall IRI kann den deutschen Bahnen mit roten Zahlen von 6,0 Milliarden Mark noch das Wasser reichen – allerdings bei einem Umsatz von 106 Milliarden Mark. Auch die Postunternehmen liegen gut im Rennen: der Postdienst machte 2,6 Milliarden Verlust; selbst die Telekom, mit einem Umsatz von 53,9 Milliarden Mark inzwischen zum drittgrößten Kommunikationskonzern der Welt hinter AT & T und Nippon Telegraph aufgestiegen, verdient keine einzige Mark, weil sie die übrigen Verluste der Post mitdecken mußte. Sogar die stark an alte K. u. K.- Zeiten erinnernde Österreichische Bundespost macht noch einen bescheidenen Gewinn.

Niemand kann mehr lachen. Der Konjunkturkarren ächzt, und die Stimmung ist hierzulande auf dem Gefrierpunkt angelangt. An die Zukunft will man nicht mehr glauben, selbst das Licht im Rezessionstunnel halten die meisten keineswegs für das Ende, sondern nur für einen entgegenkommenden Zug. Es ist einfach kohlrabenschwarz in Deutschland. es

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen