■ Mexiko im Spagat zwischen Erster und Dritter Welt
: Schüsse aus dem Süden

Am 31. Dezember ging das von den Vereinten Nationen verkündete „Jahr der indigenen Völker“ zu Ende. Am 1. Januar trat das Nafta-Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada in Kraft. Und am 1. Januar nahmen Aufständische in Süd-Mexiko die Provinzhauptstadt San Cristóbal de las Casas mit Waffengewalt ein. Nicht mit einer Fiesta wurde der Anschluß Mexikos an „den Norden“ empfangen, sondern mit Schüssen aus dem Süden.

Just wo das „Schwellenland“ Mexiko ins Wohnzimmer der Ersten Welt treten will, meldet sich sein armes Hinterhaus zu Wort. Mit der forcierten wirtschaftlichen Ankoppelung an die USA konzentriert sich hier der Konflikt zwischen Erster und Dritter Welt in einem Land. Denn „Mexiko“, das sind im Jahre 1994 eben nicht nur die aufstrebenden Maquiladora-Fabriken an der Grenze zu Texas und Kalifornien, die mit ihren Billiglöhnen die US-Industrie das Fürchten lehren. Gerade im Süden Mexikos lebt die Mehrheit der Menschen noch immer vom Land und vom Mais. Und war dies schon früher prekär, so ist diese Lebensgrundlage nun tödlich bedroht. Wo die Campesinos der hochgerüsteten Agroindustrie der US-Farmer ausgeliefert werden, klingt die Rede von der „freien Konkurrenz“ nur noch zynisch.

Steht es um ihre Tierra schlecht, so ist es für die indianisch geprägte Bevölkerung auch mit der Libertad nicht weit her. Sicher, Mexiko war nie eine offene Diktatur vom Schlage eines Somoza. Als Folge der Revolution von 1910 konnte ein System entstehen, das, geschmiert durch Kooption und Korruption, eine einzigartige Fähigkeit beweisen sollte, jede Art von Opposition zu integrieren. Damit einher ging jedoch immer auch eine alltägliche Repression – zu unauffällig für Schlagzeilen. Auch im vergangenen „UNO- Jahr der indigenen Völker“ wurden gerade im Süden Mexikos nach wie vor Tzotziles und Lakandonen, Chamulas und Mixteken willkürlich verhaftet und von ihrem Land vertrieben, von Militärs und lokalen Machthabern drangsaliert und ermordet.

Wenn nun die Aufständischen von San Cristóbal explizit den Revolutionshelden Zapata und seinen Ruf nach „Land und Freiheit“ auf ihre Fahnen schreiben, ist dies nur auf den ersten Blick antiquiert: Gerade jetzt, wo unter dem Druck der Nord-Integration auch die alte Rhetorik der Revolution wegmodernisiert wird, schreien die Parolen von San Cristóbal sie der Regierung entgegen. Das Nafta-Abkommen verkörpert den gewaltsamen Durchmarsch in die Moderne, auf den die Eliten in Mexikos Zentrum und den Städten des Nordens setzen. Die Revolte in Chiapas ist die gewaltsame Gegenreaktion der davon Ausgeschlossenen. Dabei haben die Aufständischen wohl kaum eine neue Revolution vor Augen. Aber die Not im Rücken – und den Mut der Verzweiflung. Karin Gabbert und Bert Hoffmann