■ Normalzeit: „The Leading Hotels of the World“
Im Dom-Hotel kann man stets, bei einer Tasse Schokolade, netten „Normalzeit“-Stoff vom Nebentisch abzapfen. Als ich das letzte Mal von dort mit vollen Ohren ins Freie, auf den Platz der Akademie trat, stieß ich auf eine ältere gertenschlanke Frau mit spitzer Nase, die dort auf ein Taxi wartete. Früher war sie eine „Interhotel-Nutte“ gewesen, jetzt verdiente sie ihr Geld primär damit, daß sie für ältere Geschäftsleute beim Roulette „die Glücksfee“ spielte: „Leider hat noch niemand mit mir gewonnen. Aber keine Angst, mein Häuschen in Hohenschönhausen habe ich noch und meinen Schmuck auch“, sagte sie. Ins Europa-Center ginge sie höchst ungern – „Da ist das Casino völlig thaiverseucht“ –, wohl aber ins Forum- Hotel. Zunächst wollte sie jedoch ins Palast-Hotel: „Das haben die Schweden gebaut.“
Sie lud mich ein, sie zu begleiten, das heißt, ich zahlte das Taxi. In der Bar redete sie erst einmal ausgiebig mit dem Personal, „mit denen muß man sich immer gut stellen“, später wollte sie mit mir tanzen, obwohl sie mich häßlich fand. Dann ging es ins Kempinski, wo gerade der Hotelhallen-Umbau eingeweiht wurde. Die Konzeption stammte vom schwedischen Designer Olle Nordström, die Bilder an den Bar-Wänden von Rune Söderquist. Ein – oberhessischer – Projektleiter erklärte den Anwesenden auf seine schwerfällige Art leichthinnig: Das sei nun „Lebensart, Trend, Synthese aus Klassik und Moderne und überhaupt Kempinski- Philosophie“.
Die Ex-Interhotel-Nutte, Jeanette hieß sie übrigens, hatte indes mehr ein Auge für die Feinheiten: Der Fahrstuhl war nur noch mit einer Zimmerkarte zu bedienen, der Concierge war jetzt zugleich Sicherheitschef, wie sie sofort erkannte. „Und das ist der neue Hoteldetektiv“ – sie zeigte auf einen Mann, der hinter einem Kofferträger herging. Das wußte ich nun besser: Es war F.J. Raddatz. Kempinski-Direktor Zunk lobte abschließend noch das neue (ökologische) Entsorgungssystem: Die Kacke von vegetarischen und fleischverzehrenden Gästen wird neuerdings getrennt... Wenn ich das richtig verstanden habe, Jeanette hatte nämlich plötzlich genug gesehen, sie wollte zurück „in den Osten“.
Ich konnte ihr jedoch einen Umweg über das Steigenberger- Hotel abgewinnen, wo die Bischofferoder Kalikumpel zusammen mit ihrem Investor Peine eine Pressekonferenz gaben. Die PDS hatte sogar einen kleinen Fahrdienst organisiert. Wir kamen jedoch zu spät und fuhren gleich weiter. Im Taxi erzählte Jeanette mir, daß sie regelmäßig im Hotel Esplanade frühstücke. Dort gebe es ein üppiges Buffet – „für umsonst“: Man bräuchte sich nur unter die Gäste zu mischen. An der Bar würden überdies oft „interessante Leute“ rumhängen. So zum Beispiel „tagelang“ der Magdeburger Treuhand-Chef. Die Barkeeper seien anschließend völlig fertig gewesen – vor lauter Privatisierungs-Elend.
Sie lachte leicht hartherzig. Im Forum-Hotel dann wurde mir leider oben der Eintritt ins Spielcasino verwehrt, weil ich keinen Schlips trug und man sich an der Garderobe auch keinen leihen konnte. Die dafür verantwortliche „Besuchs- und Spielordnung“ (für Spielcasinos in den Interhotels) stammte noch vom letzten DDR-Minister für Handel und Versorgung, Flegel. Aber was heißt leider? In gewisser Weise war ich froh, meinen Heimweg vom Dom-Hotel fortsetzen zu können. Man kann eine Kolumnen-Recherche nämlich auch übertreiben, vor allem in finanzieller Hinsicht. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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