„Wir wollen das schnelle Geld“

Spaniens Wirtschaft kämpft mit der schwersten Krise seit den achtziger Jahren / Die Unternehmer sind an Investitionen wenig interessiert  ■ Von Ulrike Fokken

In spanischen Bars bestimmt seit Monaten ein Thema die Gespräche bei Bier und Tapas: la crisis, die wirtschaftliche Krise des Landes. 23 Prozent der aktiven Bevölkerung Spaniens ist arbeitslos, Tendenz steigend. In Asturien stehen Massenentlassungen in den Stahl- und Eisenhütten bevor, 12.000 Arbeiter wurden bereits im letzten Jahr entlassen, und die gleiche Zahl dürfte 1994 noch einmal dazukommen. Bei Suzuki und dem Zuliefererbetrieb Cristaleria Espanola wird wegen der Autokrise kurzgearbeitet. Die Aluminiumgesellschaft Inespal will ihre Fabrik in Aviles im nächsten Jahr für sechs Monate schließen. Selbst im reichen Katalonien geht es den Arbeitern an den Kragen: Nach den letzten Verhandlungen zwischen der Volkswagentochter Seat in Barcelona und der Madrider Regierung steht fest, daß auch die 9.000 Arbeiter in der Zona Franca ihren Hut nehmen müssen.

Spanien befindet sich in der tiefsten Rezession seit Anfang der achtziger Jahre. Damals litt das Land noch unter den industriefeindlichen Fehlentscheidungen Francos der letzten Jahrzehnte: Der Caudillo hatte auf die Landwirtschaft gesetzt, Aktivitäten in Technik und Industrie waren ihm als „unspanisch“ verhaßt. Außerdem mißtrauten die Unternehmer damals noch der sozialistischen Regierung. Mit dem Beitritt Spaniens zur EG änderte sich dies fast über Nacht. In Spanien wurde die Anbindung an den reichen Norden enthusiastisch aufgenommen: Ahora somos Europa, jetzt sind auch wir Europa, tönte es 1986. Die Industrieländer von Japan über Deutschland bis zu den USA investierten Milliarden US-Dollar in Spanien. In den ersten Jahren der EG-Mitgliedschaft verdoppelten sich die Investionen jährlich. Ob Siemens, Volkswagen, General Electric oder Casio, keine Sparte war den unter Spaniern allgemein verhaßten multinacionales zu gering, um sie nicht zu besetzen. „Es ist das große Fressen“, meinte das Wirtschaftsmagazin Actualidad Económica damals über die Investitionswut. Die Regierung unterstützte die Multis durch großzügige Steuererleichterungen und äußerst lässig gehandhabte Flächennutzungspläne. Nichts wurde in Spanien in den letzten Jahren soviel und so wild gebaut wie Industriekomplexe und Straßen.

Doch jetzt sind die fetten Jahre vorbei. Schon vor dem spanischen Superjahr 92 mit Weltausstellung in Sevilla und Olympiade in Barcelona sagten Skeptiker voraus, daß die spanische Wirtschaft wie Eischnee zusammenfallen würde, wenn die Euphorie verflogen wäre. Die Regierung unter Felipe Gonzales investierte in Prestigeprojekte wie die Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen der Boomstadt Sevilla im sonst strukturschwachen Andalusien und Madrid und verpulverte dafür Millionen an Geldern aus den EG- Strukturfonds.

Abgesehen von der weltweiten Konjunkturflaute verschlechtern hausgemachte Probleme die Lage. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) befindet sich auf Talfahrt. Eine Steigerung von 2,6 Prozent wäre 1993 notwendig gewesen, um die Zahl der 3,6 Millionen Arbeitslosen nicht weiter ansteigen zu lassen. Statt dessen wird das BIP nur um 0,8 Prozent steigen. Die Lohnnebenkosten für die Sozialversicherung erhöhten sich auf Druck der Gewerkschaften nach dem EG-Beitritt drastisch. Die Produktivität der spanischen Arbeiter und Angestellten hat sich jedoch kaum verbessert. Die Fehlzeiten spanischer Arbeiter übersteigen die Urlaubszeiten bei weitem.

Nach einem Bericht der Banco de Espana konnten spanische Unternehmen das letzte Jahr nur überleben, weil sie radikal entlassen und ganze Produktionsstätten geschlossen haben. Die Arbeitskosten waren so von 1991 bis 1992 um die Hälfte geschrumpft. Durch die Abwertung der Peseta um insgesamt 30 Prozent im letzten Jahr und ständig sinkende Exporte verbleiben den spanischen Unternehmen zudem kaum Gewinne.

Im vergangenen Jahr sanken die Investitionen dann auch um 8,2 Prozent; in den Hochzeiten der Krise in den achtziger Jahren war das Investitionsvolumen nur um 5,5 Prozent gesunken. Cristina Valenzuela, Unternehmerin in Granada, hat sowieso nicht gerade eine hohe Meinung von der Investitionslust ihrer Kollegen: „Wir wollen das schnelle Geld, uns interessiert nicht, was in zehn Jahren ist. Vielleicht sind wir dann längst tot.“

Der Wirtschaftsanalytiker Julio Segura meint, daß die realen Kosten nicht genügend auf die Verbraucher abgewälzt würden und sieht darin den Grund für die Krise. Die Preise für Industrieprodukte würden nur um ein bis zwei Prozent jährlich steigen, wogegen die Kosten hierfür im gleichen Zeitraum um 15 bis 20 Prozent angestiegen seien. Außerdem sei Spanien aufgrund des „mangelhaften technologischen Niveaus“ nicht mehr wettbewerbsfähig. Traditionelle Industriebereiche Spaniens (Textil-, Schuh-, Papier- und Korkindustrie) sind zunehmend von osteuropäischer, nordafrikanischer und asiatischer Konkurrenz bedroht. Bei den Exporten ist Spanien immer noch das Land, wo die Zitronen blühen, und das gesamte Exportvolumen steht in krassem Mißverhältnis von eins zu zwanzig zu den Importen.

Um diese Entwicklung aufzuhalten, strebt Regierungschef Felipe Gonzales seit Sommer einen Sozialpakt zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmern an. Die Aussichten dafür stehen aber nach vorerst gescheiterten Verhandlungen äußerst schlecht. Die Gewerkschaften Comisiones Obreras und UGT haben einen Generalstreik angekündigt.

Streitpunkt Nummer eins zwischen den Gewerkschaften und der Regierung ist das unflexible Arbeitsrecht. Das noch aus der Franco-Zeit stammende Gesetz macht Entlassungen fast unmöglich. Das führte in den letzten Jahren dazu, daß fast ausschließlich Zeitverträge ausgegeben wurden. Diese können minimal drei Monate gelten. Dauerarbeitsplätze gibt es kaum noch.

Um die Wirtschaft anzukurbeln, hat die Regierung erst mal Steuererleichterungen für Existenzgründer beschlossen. Aus EG-Töpfen soll Geld für Zuschüsse zu Investionen in besonders strukturschwachen Provinzen vergeben werden.

Hierzu zählen vor allem Andalusien und Estremadura, die nach wie vor hauptsächlich vom Tourismus und der Landwirtschaft leben. Da die Touristen an der Costa del Sol immer weniger werden, bietet dieser Wirtschaftszweig kaum noch Arbeitsplätze. Die industrialisierte Landwirtschaft hat außerdem Tausende Bauern verdrängt. Kein Wunder, daß im Süden die Arbeitslosigkeit über 30 Prozent liegt, bei Jugendlichen in Ballungsgebieten bis zu 70 Prozent.

Den reichen Katalanen ist das „afrikanische Andalusien“ ohnehin ein Dorn im Auge. Nationalisten fordern die Unabhängigkeit, um nicht länger die angeblich nur Flamenco tanzenden Südländer unterstützen zu müssen. Die Andalusier hingegen scheinen ihr traditionell geringes Vertrauen in die Madrider Zentralregierung vollends aufgegeben zu haben. „Die haben sich noch nie um uns gekümmert. Felipe baut hier nur die Schnellstraßen aus, damit die madrilenos schneller in ihren Ferienhäusern sind“, regt sich Fernando auf. Der staatlich ausgebildete Naturschützer sollte eigentlich den Naturpark Sierra Nevada vor zu vielen Touristen schützen. Doch dafür war kein Geld da. Statt dessen hat er jetzt mit vier FreundInnen eine Kooperative gegründet, die Wanderer durch das höchste spanische Gebirgsmassiv führt. Von dem EG-Geld zur Existenzgründung hat er allerdings keine Peseta gesehen.