Beim zahlungslosen Blättern Von Claudia Kohlhase

Können wir eigentlich wirklich alles wahrnehmen, was von uns wahrgenommen werden möchte? Ja, was von uns mit Augen verschlungen werden will? Nein, können wir natürlich nicht. Und darum müssen wir ab und zu einen Zeitschriftenladen betreten: allein in der redlichen Absicht, ein wenig hierin, ein wenig darin zu blättern und so viel von der Welt mitzunehmen, was gerade noch in uns reinpaßt.

Nachher stand in der Bunten, wer alles beim Jahreswechsel unter den Armen geschwitzt hat – und wir haben es wieder nicht gewußt oder entsprechende Gedanken dazu entwickelt. Also soll man uns stehen und blättern lassen, schon im Sinne der Aufklärung. Auch tun wir ja niemand was, sondern eher Gutes, und lesen Zeitungen, die sonst niemand für möglich gehalten, geschweige denn gekauft hätte. Und so stehen wir da, versinken zwischen bunten Bildern wie im Bermudadreieck und tauchen wunderbarerweise doch immer wieder auf, um unser Standvermögen zu wechseln. Niemand käme deswegen gleich auf die Idee, von uns gekauft werden zu wollen. Außer der Zeitschriftenhändlerin! Steht wie bezahlt und nicht abgeholt hinter ihrer Kasse und guckt misanthropisch, als wollten wir Schlagzeilen stehlen. Dabei lassen wir meistens alles drin und nehmen nur in Ausnahmefällen die kleine Parfümprobe raus. So was will ja eh niemand.

Auch wissen wir Bescheid um unsere prinzipielle Schuld und machen hintenrum die Augen zu, als wären wir gar nicht da. Aber nein, die Zeitungsfrau tötet schon mal vorsorglich mit diversen Blicken, obwohl du erst beim Naturarzt bist. Dabei kommen in der Regel noch Heim und Welt, Tier und Wir und danach Marieclär, wo mir für diesen Monat zu Mosaikschalen oder Trapezhosen geraten wird, jedenfalls wenn ich keine Problemzone bin. Und danach kommt dann noch allerhand Nachrichtengesocks, das aber bloß aus Pflichtbewußtsein statt aus innerer Regung. Zur Belohnung muß jetzt natürlich etwas Aufbauendes her; vielleicht mal was Unanständiges. Aber nun hält sie nichts mehr, und wütend schießt sie hinter ihrer Kasse vor und schichtet knallend den neuen Motto-Katalog um und um mich herum. So was macht einen ein bißchen wahnsinnig, wenn man grade Trapezhosen auswendig lernen muß. Auch schadet sie sich damit bloß selbst. Denn jedes Kind weiß, was ein einzelner Motto-Katalog wiegt. Darum bist du kein Unmensch und wechselst von den Boulevardblättern zu den Männermagazinen. Aber schwupp! fischt sie dir die letzte Heimwerkerrevue vor der Nase weg. Jetzt kann man ja schlecht offensiv werden oder am Ende noch die Heimwerkerrevue kaufen. Nachher sieht dich jemand, der dich kennt.

Okay, schaust du dir eben aus jugendpolitischen Gründen Fix und Foxi oder Wendy an, denkst du, das kann sie schwerlich interessieren, und schielst unauffällig zur Kasse, wo sie nun auf einmal wie stilles Wasser steht und dich blank haßt, als wärst du ein Schwein. Und da passiert es mir doch jedesmal, daß ich merke: Ich will eigentlich kein Schwein sein. Und entschließe mich schweren Herzens, eine Zeitschrift zu erwerben. Bloß welche? Also muß neu gesucht werden. Und das heißt: mit ganz neuen Auswahlkriterien. Eine Mutprobe, die nicht leicht zu bestehen ist.