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Brechtsche Wellen im Anrollen

■ In Niedersachsen formieren sich kommunale Rundfunkinitiativen

„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens ... wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur zu hören, sondern ihn auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.“

Was Bertolt Brecht vor Jahrzehnten in seiner „Radiotheorie“ forderte, ließe sich in naher Zukunft in Niedersachsen umsetzen. Zumindest ansatzweise. Und zwar durch nichtkommerzielles, lokales Radio. Bürgerradio von unten, das Grenzen aufbrechen will zwischen MacherInnen und HörerInnen, das die Konsumenten herausholen will aus der Anonymität und Vereinzelung und sie aktiv einbindet in das Programm. Sie sollen selbst zu Wort kommen.

Im Oktober vergangenen Jahres wurde ein neues Landesrundfunkgesetz für Niedersachsen verabschiedet. Darin ist unter anderem verankert, neben öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich geführten Radiosendern in Niedersachsen nichtkommerziellen Lokalfunk (NKL) zu etablieren und zu fördern. Innerhalb sogenannter Betriebsversuche, die erstmal auf fünf Jahre befristet sind, werden lokale UKW-Frequenzen vergeben. Elf Radioinitiativen haben sich in der „Interessengemeinschaft nichtkommerzieller lokaler Hörfunk in Niedersachsen“ (INGEHN) zusammengeschlossen und eine Lizenz für jede Mitgliedsinitiative beantragt.

Doch noch ist nichtmal die Behörde geschaffen, die NKL-Lizenzen vergibt. Von Wilhelmshaven bis Holzminden stehen die RadioaktivistInnen in den Startlöchern, um die Frequenzen zu besetzen, obwohl auch die Finanzierung des NKL noch völlig unklar ist. Denn der NKL soll aus einer Abgabe der Kommerzradios, also „Antenne“ und „ffn“, bezahlt werden. Die haben dagegen natürlich Verfassungsklage eingereicht und wollen keinen Pfennig rausrücken. Wie dieses Pokerspiel enden wird, ist noch ungewiß.

In Hannover wird voraussichtlich nur eine Frequenz für werbefreies Lokalradio ausgeschrieben, für die sich dann verschiedene Initiativen bewerben. Da ist beispielsweise der „Freundeskreis Lokalradio Hannover e.V.“ (FLORA). Die ca. 40 Mitglieder dieser Radioinitiative möchten ein selbstverwaltetes, basisdemokratisches, linkes Bürgerradio installieren: Radio FLORA als ein Medium des Dialogs und der Gegenöffentlichkeit. Der Berieselung durch die etablierten Medien wird eine aktive Gestaltung von Radio entgegengesetzt und es kommen Menschen zu Wort, die sonst kaum Zugang zur Öffentlichkeit haben.

„La Mouche - Das InitiativRadio e.V.“ war ursprünglich eine studentische Initiative an der Uni, hat sich jetzt aber für alle Gruppen und Menschen in Hannover geöffnet. Sie will engagiertes Radio machen ohne sich gleich eine politische Richtung aufzwingen zu lassen. „La Mouche“ strebt eine enge Zusammenarbeit mit den anderen NKL-Initiativen an. Das „Open air Radio“ ist in der Nordstadt beheimatet und will als alternativer Kultursender vornehmlich literarische und künstlerische Vorgänge in der Stadt beleuchten. Die „Open air“- Leute kommen aus einem publizistischen und sozio-kulturell engagierten Umfeld.

„Stadtradio“ heißt das Projekt einer Initiative des Instituts für Journalistik und Kommunikationsforschung. Seit fast einem Jahr arbeiten Studenten, Mitarbeiter und Professoren an einem Lokalradio für Hannover ohne Werbung und Sponsoring. Neue Formen der Programmdarbietung werden ausprobiert, das vielfältige Stadtleben wiedergespiegelt und somit die etablierte Berichterstattung ergänzt. Menschen aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum der Stadt erhalten die Möglichkeit, diese „Stadtradio“ mitzugestalten. Doch die Entscheidung über die Frequenzvergabe fällt wohl frühestens im Spätsommer, so daß mit einem Sendestart nicht vor Ende des Jahres zu rechnen ist.

Jens Albrecht

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