piwik no script img

Als Pädagoge alles tun, um Angst abzubauen

■ Interview mit Michael Koplin, Projektleiter des Glatzenklubs „Wurzel“ in Berlin-Marzahn, der von der eigenen Klientel verprügelt wurde, über seine Motivation, dennoch weiterzumachen

Michael Koplin arbeitet seit zweieinhalb Jahren mit rechtsradikalen Jugendlichen. Allerorten wird das Projekt „Wurzel“ als Beispiel für eine erfolgreiche Arbeit mit der harten rechten Szene dargestellt: Vor etwa einem halben Jahr wanderten die ersten „rehabilitierten“ Glatzen ab und genießen seither das kleine Glück zwischen ihrem Job am Bau, Heim und Herd. Nach mehreren Angriffen gegen Mitarbeiter ist der Klub zur Zeit geschlossen. Unter der Woche kommen normalerweise junge, 12- bis 14jährige Skinheads in den Klub. Am Wochenende nahmen bis zur Schließung die Älteren den Klub in Besitz, wenn Glatzendisco mit harten Getränken angesagt war.

taz: Gewalt gibt es in der „Wurzel“ häufiger. Vor allem, wenn Glatzendisko ist, prügeln rechte Jungmänner im Suff ihre Freundinnen und treten sich gegenseitig mit Stiefeln ins Gesicht. Wo ist für Sie der Punkt erreicht, wo Sie das nicht mehr mitmachen wollen?

Koplin: Im Moment. Ich war in meiner Arbeit noch nie so frustriert wie heute. Vor allem, weil derzeit wieder ein paar Leute mit faschistischer Gesinnung und dicken Oberarmen meine Arbeit torpedieren. Zwei von denen kamen neulich in den Klub, bauten sich vor mir auf und schlugen zu. Nur weil zufällig meine Frau und eine Praktikantin dazwischen gegangen sind, bin ich mit einem Meniskusriß glimpflich davongekommen.

Mit welcher Begründung wurden Sie verprügelt?

Ich würde den Jugendklub versauen, rief einer immer wieder. Dazu muß man wissen, daß sich im Klub die Politischeren versammeln. Und von denen gehört ein Gutteil zu unserer Stammgruppe, die von Ausländeraufmischen gar nichts mehr hören will. Bevor sie zu mir reinkamen, hatten die beiden Typen versucht, ein paar unserer Leute zu mobilisieren, ins Ausländerheim zu gehen. Aber ohne Erfolg, meine Jungs winkten ab. Ja und dann kriegten die beiden wohl auch mit, daß ich stolz auf meine Jungs war. Das reichte.

Warum haben Sie sie nicht angezeigt?

Ich dachte, ich wäre doch dumm, mir selbst auf diese Weise den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dann würden die Jugendlichen im Klub doch nur über den reden, der andere Jugendliche anzeigt und nicht über diejenigen, die die Schließung ihres Klubs zu verantworten haben. Die sollen darüber reden, ob es richtig ist, daß Sozialarbeiter zusammengeschlagen werden, die sie jahrelang unterstützt haben. Aber es gab auch positive Reaktionen: Ohne Ausnahme haben sich meine Jugendlichen von dem Angriff distanziert.

Nur haben Ihre Jungs, wie's scheint, nicht aktiv für Sie Partei ergriffen. Ist jetzt das Vertrauensverhältnis zu denen gestört?

Nein, ich arbeite natürlich weiter mit denen. Sie haben gesagt, daß auch sie Angst gehabt haben. Und Angst kann ich nicht bestrafen. Auch darf ich als Pädagoge nicht nachträglich sauer sein, sondern muß alles tun, Angst abzubauen. Ich will weitermachen, weil ich als Sozialarbeiter darauf gefaßt sein muß, in eine solche Situation zu kommen. Ich war nicht zum ersten Mal in einer solchen Situation. Auch war der Angriff auf mich nicht der erste im Klub. Ich wurde schon mal nach einem Konzert niedergeschlagen. Einem Mitarbeiter ist, nachdem er schließen wollte, die Knarre an die Schläfe gesetzt worden mit der Aufforderung, weiterzumachen. Da war die Grenze erreicht, und wir haben den Klub dichtgemacht. Immer waren es Leute, die von außen kamen. Wenn die da sind, ist die Atmosphäre nicht mehr berechenbar. Vor allem am Wochenende sind zunehmend mehr Leute da, die wir nicht einschätzen können. Und wenn das so ist, muß man sagen: So Leute, wir fühlen uns überfordert von den Massen, die auf uns einströmen und den Problemen, die sich daraus ergeben. Ich kann nur zu den Politikern anderer Stadtteile gehen und sagen: Seht zu, daß ihr eure eigenen Glatzenklubs aufmacht, ich werde mit 150 und mehr Glatzen am Wochenende nicht mehr fertig.

Seit dem Angriff und der Schließung gibt es keine Discos mehr. Jetzt trinkt die Klientel in der Kneipe gegenüber – und wartet.

Gerade jetzt bemühen wir uns intensiv um die Kerngruppe. Wir führen Auseinandersetzungen um die Frage, unter welchen Voraussetzungen wir wieder öffnen können. Auch wenn geschlossen ist, findet jeden Dienstag unser Plenum statt, das niemand von denen missen möchte. Wir müssen immer wieder ein Gegengewicht zu dem setzen, was man „undemokratische Streitkultur“ nennen muß.

Nobel, nobel. Wie aber wollen Sie sich vor Übergriffen schützen? Wollen Sie demnächst bewaffnet in der „Wurzel“ arbeiten?

Mit der Gaspistole in den Dienst? Nein. Es geht nicht, in einem Antigewaltprogramm mit Gewalt zu arbeiten. Deswegen kann ich eigentlich auch nicht die Polizei einschalten. Allerdings frage ich mich allmählich, ob ein Sozialarbeiter nicht doch die Courage haben sollte, Angriffe anzuzeigen – auf die Gefahr hin, möglicherweise als Verräter oder V-Mann dazustehen. Wenn man die eigene Ohnmacht erlebt, daß man Gewalt nicht mehr einschätzen kann, dann muß man das Projekt verändern.

Was heißt das?

Wir werden aus der „Wurzel“ einen Klub für alle Jugendliche machen, nicht nur für Glatzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen