: Unterm Strich
Der Berlinale-Zirkus geht los. Zwar war man im letzten Jahr vorsichtiger geworden, ließ sich nicht mehr zu arg in vorfreudige Euphorie versetzen, trieb statt dessen regelmäßig Sport und achtete auf eine gesunde Ernährung. Doch das ist alles im Nu vorbei und vergessen, wenn die ersten Faxe aus dem Festspielbüro in der Budapester Straße am Bahnhof Zoo auf den Redaktionstisch flattern: „Starke europäische Präsenz, bedeutende US-Filme und Weltstars“ sind dieses Mal jene halbgefetteten Zeilen, die das nervöse Kino- Auge als erstes erhascht. Für den Laien mag das nach handelsüblichem PR-Blabla klingen, aber vor dem Fachmann, der momentan die Frau für Bewegtes und Bewegendes vertritt, bauen sich sofort haufenweise Promis auf der inneren Projektionsfläche auf, das schafft kein Fernseher: Anthony Hopkins sitzt mit Gina Lollobrigida schweigend auf der Wiese und schaut verliebt den Lämmern beim Grasen zu. Richard Gere tritt Liz Taylor beim abschließenden Film-Ball auf die Füße und lächelt dabei, als würde er einen Alligator würgen... Nun ja, in Wirklichkeit stehen in solchen Faxen ganz andere Sachen: Zwei Drittel der Filme für das Wettbewerbsprogramm sind europäische Produktionen, unter anderem „Ladybird, Ladybird“ von Ken Loach, dessen Vorgänger-Produktion „Riff-Raff“ als bester europäischer Film 1991 mit dem Félix ausgezeichnet worden war. Auch Alain Resnais beehrt uns mit einem Verwirrspiel nach „Mélo“ und „I want to go home“: Für „Smoking“ und „No Smoking“ hat er sich eine Parallel-Inszenierung mit nur zwei Schauspielern in jeweils mehreren Rollen einfallen lassen, die das Thema von den Irrungen und Wirrungen der Liebe getreu der Frage „Was wäre geschehen, wenn...“ behandeln. Also, bei mir war das so: Meine erste Freundin habe ich im Landschulheim auf Amrum kennengelernt – mit allem Drum und Dran. Küssen, in die Bluse gehen, Santana hören und sich nach zwei Tagen schon wieder trennen. Bei der zweiten Überhauptmal-Liebe hielt es dann fast einen Monat. Wenn wir danach geheiratet hätten, wie sie mir am Ende der dritten Woche vorschlug, wäre ich wahrscheinlich niemals an Drogen geraten, hätte Punk verpaßt und wahrscheinlich auch mein Abi, weil eine Lehrstelle nach der Mittleren Reife schon in kurzer Zeit das nötige Einkommen erbracht hätte, um der Familie fünfköpfige Schar zu ernähren. Das hört sich auch im nachhinein (schreibt man klein – korr.) noch nach einem so unglaublich hohen Leistungsdruck in den besten Jahren meines Lebens an, daß ich mich gerade frage, wie Resnais es wohl angestellt hat, selbst solche einfachen Individualdramoletten mit nur zwei Schauspielern hinzubekommen. Aber wahrscheinlich wird da eh wieder nur gequatscht. Interessanter ist wohl Peter Weirs „Fearless“ mit Jeff Bridges und Isabella Rossellini, der die Schockwirkung bei Überlebenden einer Flugzeugkatastrophe behandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen