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Großputz im Sündenbabel

Pattaya, Synonym für üppiges Nachtleben und hohe Aids-Raten, Umweltprobleme, Drogenhandel und Kriminalität, soll sauber werden. Am Beispiel des Badeorts will Thailand sein angekratztes Image als Urlaubsziel aufpolieren  ■ Von Volker Klinkmüller

Es war nur ein kurzer Schauer, doch die Kanalisation ist wieder einmal hoffnungslos überfordert. Aus dem großen Eisenrost auf der Straße quillt eine Mischung aus Regenwasser und Fäkalien. Zielstrebig kriecht der übelriechende Strom ein Stückchen die Beachroad entlang, um dann quer über den Sandstrand direkt ins Meer zu fließen. Macht nichts. Denn dort wäre die braune Brühe früher oder später sowieso gelandet.

Wer am Stadtstrand von Pattaya, dem größten und bekanntesten Seebad Südostasiens, ins Wasser springt, gefährdet seine Gesundheit. Nicht nur durch sein üppiges Nachtleben mit einer überhitzten Sexindustrie und hohen Aids-Raten ist der Ort an der thailändischen Ostküste, noch in den achtziger Jahren Asiens Feriendomizil Nummer eins, in Verruf geraten. Schlagzeilen über Umweltprobleme, Nepp, Bandenkriminalität, Drogenhandel und nicht zuletzt die Torremolinos-Architektur haben Pattaya zum Prügelknaben der Medien werden lassen. Einige große Reiseveranstalter zogen die Konsequenzen und strichen dieses „Sündenbabel“, an dessen unkontrolliertem Ausbau sie einst mitgewirkt und gut verdient hatten, aus ihren Katalogen.

Einige Hotels am Jomtien- Strand, der längsten Badebucht Pattayas, distanzierten sich auf ihre Weise: sie gaben in Werbebroschüren ihren Standort mit „Jomtien“ und nicht mehr mit Pattaya an. Andere, am Stadtrand gelegene, Hotels tauschten das „in“ Pattaya einfach gegen ein „bei“ Pattaya aus.

Schon mehrmals galt das Schicksal der Stadt als besiegelt. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger: Mit einem beispiellosen Kraftakt soll der Küstenort, in dem die Deutschen 1992 mit immerhin noch 256.000 Gästen das weitaus stärkste Urlauberkontingent der „Farangs“ (Fremde aus dem Westen) stellten, als internationales Ferienziel ins nächste Jahrtausend hinübergerettet werden. Die Regierung hat Pattaya zu einer „kontrollierten Umweltzone“ erklärt. Hier soll das angekratzte Image Thailands als Urlaubsziel in den nächsten drei Jahren exemplarisch aufpoliert werden: 5,5 Milliarden thailändische Baht (ungefähr 360 Millionen Mark) sind für ein umfangreiches Rehabilitationsprogramm bereitgestellt.

„In zwei Jahren können Sie hier über einen 50 Meter breiten Sandstrand schlendern und im glasklaren Wasser planschen“, versichert Payon Chaihuadjaroen von der staatlichen Touristenbehörde (TAT). Die Hälfte des Gesamtbetrages soll bis Ende 1994 in den Ausbau von Wasserversorgung und Kanalisation sowie leistungsstarke Kläranlagen in den Stadtteilen Jomtien und Naklua investiert werden. Rund 80 Millionen Mark sind eingeplant, um den nur zehn Meter schmalen Stadtstrand aufzuspülen und endlich einen Landungspier für Ausflugsboote zu bauen. Mindestens acht illegal errichtete Bauten sollen abgerissen werden, um Pattayas Skyline zu liften. „Außerdem wollen wir den Wildwuchs des Rotlichtmilieus eindämmen“, erläutert der TAT- Chef die Kernpunkte des Programms. „Amüsierbetriebe wie Bier- und Go-go-Bars werden in Süd-Pattaya konzentriert, die beiden anderen Stadtbezirke bleiben der Kultur und Erholung vorbehalten.“ Reicht das, um die Stadt vom Ruf als „größtem Bordell der Welt“ zu befreien?

Einige Maßnahmen sind schon seit Jahren im Gespräch, doch bisher wurde vorwiegend mit leeren Worten an Verbesserungen gearbeitet. Die Einheimischen sind sauer. Denn über Touristenschwund und Umsatzeinbußen klagen – vom Hotelier über den Bootsverleiher bis zum Barmädchen – fast alle im ehemaligen Fischerdorf Pattaya, dessen Karriere während des Vietnamkriegs mit erholungsuchenden GIs begann. Heute hat der Ort 64.000 Einwohner, fast 80 Prozent leben vom Tourismus. So wie Surachai, der eines der dunkelblauen „Baht- Taxis“ fährt. Er fürchtet um seine Existenz. „Vor zwei Jahren waren wir noch 200, nun müssen wir das Geschäft unter tausend Pickup- Taxis aufteilen! Und Touristen sind auch weniger hier“, klagt der 25jährige Familienvater. Die Leute seien endlich aufgewacht und würden den Verantwortlichen genauer auf die Finger schauen. „Dieses Mal ist die Summe einfach zu groß, um wirkungslos in den Kanälen der Korruption zu versickern“, glaubt Surachai.

Wie viele andere setzt auch er auf den neu gewählten Bürgermeister. Dieser hat zumindest schon einmal dafür gesorgt, daß die Strandreinigungsmaschine zum Einsatz kommt. Fast jeden Tag dreht dieses dreirädrige Ungetüm nun zwischen Palmen, Sonnenschirmen und Liegestühlen weitläufige Runden, befreit den Sand von angeschwemmtem Holz, Bierflaschen, Plastiktüten und Essensresten. Vor über einem Jahr war das Gerät für 800.000 Mark aus Amerika importiert worden, nach einer öffentlichen Vorführung jedoch kurzerhand in einem Depot verschwunden.

Weitere Anzeichen sprechen für einen Wendepunkt im Kampf gegen Umweltverschmutzung, Imageverlust und Besucherrückgang. Im örtlichen TAT-Büro werden bereits die Kisten gepackt. Der Pavillon steht direkt auf dem Stadtstrand und soll, obwohl er eher zu den schöneren Bauten Pattayas gehört, gemeinsam mit den benachbarten Gebäuden der Touristenpolizei und des Seenot-Rettungsdienstes noch in diesem Jahr der Abrißbirne zum Opfer fallen. Der Blick aufs Meer soll ungetrübt sein.

Aus Bangkok sind fünfzig Experten des Umweltministeriums angereist, um den Einsatz der Regierungsgelder zu koordinieren. Seit Premierminister Chuan Leekpai während eines Stadtrundgangs sein Mißfallen über Prostitution, besonders aber Abscheu über die Kinderprostitution geäußert hat, geht die Polizei hart gegen entsprechende Etablissements vor. Während einer einzigen Razzia wurden 26 Betriebe geschlossen. Mit dem städtischen Müll-Sammelsystem – bisher ständig kurz vor dem Kollaps – ist jetzt eine private Gesellschaft beauftragt. Kleine Linienbusse sollen den innerstädtischen Straßenverkehr entlasten, der zumindest an Wochenenden schon dem Chaos der Metropole Bangkok ähnelt.

Der Verkehr in und nach Pattaya könnte allerdings noch ganz andere Wandlungen erfahren. Ein Hoovercraft-Bootservice ist geplant wie auch ein neuer Highway, auf dem sich die Anfahrt von Bangkok (154 Kilometer) um rund zwei Stunden auf 55 Minuten verringern soll. Warum ist niemand auf die Idee gekommen, das Geld in eine Modernisierung des Schienenwegs zu investieren und somit dem Verkehrsinfarkt der Hauptstadt Abhilfe zu verschaffen? Bangkoks Flughafen Don Muang verfügt nämlich – genau wie Pattaya – bereits über einen Bahnanschluß und ließe sich über den Hauptbahnhof umweltfreundlich und zukunftweisend mit dem Seebad verbinden.

Bereits begonnen hat der Ausbau des nahe gelegenen Militärflughafens U-Tapao für Zivilflugzeuge. Hoffnungen macht sich die Stadt nicht zuletzt als Ausgangspunkt für Entdeckungsreisen in ein vielleicht schon bald stabilisiertes Kambodscha (Tempelanlagen von Angkor Wat) und nach Vietnam. Eine internationale, rund vier Millionen Mark teure Anzeigenkampagne soll den Touristenstrom nach Pattaya weiter ankurbeln.

Für Günter Bunz, Urlauber aus Dortmund, gar nicht nötig. „Sicher, die hübschen Thai-Mädchen sind nicht ohne Reiz“, schmunzelt der 38jährige Industriekaufmann. Er aber sei wegen des reichhaltigen Wassersportangebots gekommen. Ehefrau Regine – sichtbares Indiz für Günters Glaubwürdigkeit – lobt die neonbeleuchteten Shopping-Meilen Pattayas, die farbenprächtigen Transvestitenshows von „Alcazar“ und „Tiffany“. Nachts vergnügen sich die Bunzens in den riesigen High-Tech- Diskotheken oder in einer der unzähligen Karaoke-Bars. „Pattaya lebt rund um die Uhr ... und wir versuchen, nach Kräften mitzuhalten!“ sind sich die beiden einig. Daß sie ihren Urlaub im „Sündenbabel“ verbringen, wissen daheim nur die Angehörigen. Freunde, Bekannte und Nachbarn wähnen das Ehepaar Bunz an der spanischen Riviera. „Wir wollten damit nur blöden Anspielungen vorbeugen.“

Dabei ist Pattaya nicht nur ein einzigartiges Sportzentrum oder ein Rummelplatz grenzenloser Vergnügungsmöglichkeiten, sondern auch ein kulinarisches Schlaraffenland. Essen wie bei Muttern – in Pattaya kein Problem: Im „Alt Heidelberg“, im „Bavaria Bierhaus“ oder in „Peters Suppen

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topf“ brutzeln germanische Auswanderer Hausmannskost. Wenige Meter entfernt dampfen die leckeren Thaisuppen der Garküchen, werden fangfrischer Fisch und auf Eis gekühlte Meeresfrüchte präsentiert. Dann wieder Restaurants, aus denen es nach Schweizer Käsefondue, italienischer Pizza, spanischer Paella, libanesischem Kebab, indischem Curryhuhn oder sogar nach koreanischem Hund duftet.

Auch die Hotelindustrie ist bunt: Pattayas Besucher haben die Qual der Wahl zwischen dreißigtausend Zimmern. Durch die Auswirkungen des Golfkriegs im Ferntourismus, die politischen Unruhen im Mai 1992 und die weltweite Rezession sind die Preise noch tiefer in den Keller gegangen. Eine Übernachtung in manchen der 32 First-class-Hotels Pattayas ist bereits ab fünfzig Mark zu haben.

Beim Wettbewerb mit der Insel Phuket setzt die Hotelindustrie neben Preissenkungen auch auf den Umweltschutz. Das Royal Cliff Resort – mit 911 Zimmern, neun Restaurants, vier Schwimmbädern und 1.500 Angestellten das größte und mehrmals als bestes „Beach- Resort der Welt“ ausgezeichnete Hotel – hat den Kampf gegen die Meeresverschmutzung schon früh aufgenommen. Die hauseigene Kläranlage reinigt alle Abwässer und versprenkelt sie anschließend in der Gartenanlage. Im neuesten Gebäudeteil wird benutztes Duschwasser sogar noch einmal für die Toilettenspülung verwendet. Das Thai-Garden-Resort bemüht sich sogar, Pattaya von Sextouristen zu säubern. „Das Nachtleben hat diese Stadt groß gemacht, doch die Zukunft liegt im Familienurlaub“, glaubt Hotelchef Michael Vogt.

Die Einrichtung eines hoteleigenen Kindergartens samt Spielplatz und 24stündigem Babysitter- Service unterstreichen das neue Marketing-Konzept. Zudem wird seit Anfang November von jeder Übernachtung rund eine Mark als Spende an das „Pattaya Orphanage“ abgeführt, wo rund vierhundert Kinder ohne Eltern und mit Behinderungen ein eher karges Dasein führen. Die Rechnung scheint aufzugehen. Über Gästemangel jedenfalls klagt das 172-Zimmer-Hotel nicht, obwohl dort kaum noch Sexurlauber absteigen.

Die alten Fehler sind in Pattaya erkannt, aber keineswegs gebannt. Was hilft eine „kontrollierte Umweltzone“, wenn in Thailand bereits darüber diskutiert wird, die eingerichteten Nationalparks nun doch wieder verstärkt touristischer Nutzung zuzuführen? Auf dem Weg zur Industrienation hat sich der Osten zu Thailands wichtigster Wachstumsregion gemausert. Welche Bedeutung hat das „Gütesiegel“ einer Umweltzone angesichts des nur wenige Kilometer entfernten Industriezentrums von Sri Racha, das sich mit seinem neuen Tiefseehafen Laem Chabang, gewaltigen Fabrikanlagen und Ölraffinerien immer weiter an Pattaya heranschiebt?

Einen Trumpf hat das Seebad allerdings noch im Ärmel, falls sich die Sanierung alter Sünden einmal mehr hinauszögern sollte. Ein florierender Tauschhandel mit Krim- Sekt, Wodka oder Uhren, Orden und Feldstechern der Roten Armee deutet es an: durch die Öffnung des Ostblocks sind größere Reisegruppen aus Moskau oder den ehemaligen Sowjetrepubliken Tadschikistan und Usbekistan in Pattaya schon keine Seltenheit mehr. „Die freuen sich jedenfalls, daß sie überhaupt hier sein können, und lamentieren nicht ständig über schmutzige Strände“, hat ein einheimischer Reiseveranstalter – frustriert vom mühseligen Ringen um verwöhnte Touristen aus dem Westen – festgestellt.

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