: Mordprozeß gegen „Werwölfe“: „Dann hab' ich geschossen“
■ Neonazis ermordeten einen unbeteiligten Autofahrer
Cottbus (taz) – Beim Mordprozeß gegen vier mutmaßliche Mörder der selbsternannten „ersten Werwolf-Jagdeinheit Senftenberg“ in einem Cottbusser Gerichtssaal geht es ähnlich locker zu wie vor dem Königlich-Bayerischen Amtsgericht. Die Plätze der Angeklagten sind nicht, wie bei Mordfällen und politisch motivierten Straftaten üblich, abgesichert, die Neonazis sitzen vielmehr gleich neben der Gerichtsprotokollantin und eine Stuhlreihe vor den JournalistInnen.
Die eifrigen Beamten nehmen den Tatverdächtigen, die einen wehrlosen Mann auf einer Landstraße erschossen haben, schon vor dem Gerichtssaal die Handschellen ab. Sollte mal was passieren, einer der vier sich vielleicht mit einem Messer die Flucht erzwingen, kann Brandenburgs einschlägig erfahrener Justizminister Hans-Otto Bräutigam wie üblich verkünden: Die ehemaligen DDR-Beamten seien eben nicht ausreichend für solche Fälle geschult. – Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen Mord und unerlaubten Waffenbesitz. Der Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, wurde noch vom damaligen Bundesanwalt von Stahl fallengelassen. Der Angeklagte Jens-Werner K. gibt jedoch zu, Mitglied der „Werwölfe“ gewesen zu sein. Zudem gesteht K., mit Waffen gehandelt und in einem Erddepot Handgranaten und Maschinenpistolen versteckt zu haben.
Die Gesinnung der zwanzig- bis neunundzwanzigjährigen Männer ist offensichtlich: Auf den Fingern der rechten Hand von Maik H. ist das Wort Skin tätowiert, auf denen der linken Hand steht Hass. Auf dem Hals von Silvio K. ist ein D für Deutschland gezeichnet. Seine Augenränder hat er, einem Falken ähnlich, mit schwarz tätowierten Strichen verlängert. Er behauptet, nicht rechtsradikal zu sein, doch die Polizei stellte ein Luftgewehr und eine Kampfmontur in seiner Wohnung sicher.
Die „Werwölfe“ spielten nachts in den Wäldern rund um Cottbus Krieg und stellten sich eigene „Soldbücher“ aus. „Wir haben uns in die Zeit 1944/45 zurückversetzt“, begründet Jens-Werner K. gestern – am dritten Verhandlungstag – die nächtlichen Aktivitäten. Und Daniel L. gibt zu Protokoll: „Lese ich ein Buch von 1942, lese ich, die Zeit war herrlich. Lese ich heute ein Buch, lese ich nur Schreckliches.“
In der Nacht zum 13. Dezember 1991 wollen die jungen Männer ein Spielcasino überfallen und benötigen hierzu noch ein Fluchtfahrzeug. Sie täuschen mit ihrem Trabi auf der Landstraße nach Meuro eine Autopanne vor, ein Fahrzeug hält an. Was folgt, ist eine angeblich ganz normale schwere Straftat, wie sie eben jedem einmal passieren kann: „Auto her! hab' ich gesagt. Nee, sagte der. Auto her, oder ich leg' Dich um, sag' ich wieder. Der legte den Gang rein, dann hab' ich geschossen. Der Motor hat aufgeheult.“
Daniel L. nuschelt. Der zwanzigjährige Gerätemonteur hat den Mann, über den er hier redet, den siebenundzwanzig Jahre alten Autofahrer Timo K., Vater von zwei kleinen Kindern, in den Kopf geschossen.
Es ist still im Gerichtssaal. Der Cottbusser Richter fährt unbeirrt fort: „Und was haben Sie dann gemacht?“ L.: „Den Mann auf den Beifahrersitz geschoben.“ Das Opfer stöhnt. Dann soll L. noch einmal geschossen haben, sagen die anderen. „Kann sein, ich weiß es nicht mehr“, meint Daniel L. hierzu.
Er weiß nur noch, daß sich sein Kumpel Jens-Werner K. auf den Rücksitz gezwängt hat. Daniel L. steuert einen Wald an, das Opfer bewegt sich immer noch. „Jens, der lebt immer noch, tu doch was“, ruft Daniel L. panisch. Und Jens-Werner K. schießt durch den Vordersitz ein drittes Mal auf den Mann. Opfer und Auto werden anschließend verbrannt.
Warum er ermordet wurde? Weil sie Geld brauchten, um bereits erhaltene Waffen zu bezahlen, ist die eine Version. Jens-Werner K. sagt, er habe Drohbriefe von Gläubigern aus der Waffenszene bekommen. „Deiner Frau und Deinen Kindern passiert was, wenn Du nicht bald bezahlst“, hieß es darin. Oder war das Motiv doch eine neonazistische Mutprobe? Silvio K. soll nach dem ersten Schuß gesagt haben: „Das war nur 'ne Übung.“
Bei einer Razzia gegen die „Werwölfe“ hatte die Polizei im Oktober 1992 hundertfünfzig Handgranaten, Maschinenpistolen und eine Feldausrüstung sichergestellt. Wollten die vier das, was sie immer übten, endlich einmal in der Praxis anwenden? Die Jugendgerichtshelferin wird sich kommenden Montag um weitere Begründungen bemühen.
Daniel L. wurde politisch von seinem Vater beeinflußt. Er war als Kind stark fettleibig, und seine Hoden waren im Speck verwachsen. Zur Tatzeit war Daniel L. achtzehn Jahre alt und fällt damit wohl unter das Jugendstrafrecht. Die Höchststrafe bei Mord für Jugendliche liegt bei zehn Jahren.
Die beiden anderen Angeklagten, Maik H. und Silvio K., wollen nichts mit der Tat zu tun haben. Sie gaben lediglich zu, nicht dagegen eingeschritten zu sein.
„Warum haben Sie dann keine Hilfe gerufen“, fragt Richter Werneburg. Maik K. zuckt nur mit den Achseln. Anja Sprogies
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