: Platten-Pedro hat keine CDs
Gesichter der Großstadt: Seit 1968 hat „Platten-Pedro“ am Tegeler Weg in Charlottenburg eines der weltgrößten Antiquariate für Platten aufgebaut ■ Von Jürgen Karwelat
„Platten-Pedro hat keine CDs“ steht an der Scheibe der Eingangstür. Wenn man drin ist, kann man sich auch kaum vorstellen, wo diese – wenn auch kleinen – Scheiben noch untergebracht werden sollten. Platten-Pedro, mit bürgerlichem Namen Peter Patzek, hat seinen Laden im Tegeler Weg 100 bis unter die Decke mit Venyl- Schallplatten zugepackt und den Nachbarladen ebenfalls. Es ist kaum Platz, um sich zu drehen und die Leitern zu den oberen Regalen hochzusteigen. Das sollte man ohnehin nicht tun, denn Pedro hat seine eigene Ordnung, die selbst langjährige Besucher oder auch die seltenen Aushilfsverkäufer nicht durchschauen.
Vor 25 Jahren startete er mit dem „Schallplatten-Antiquariat“, wie er es damals wohl als erster in der Stadt nannte, zuerst in der Pfalzburger, dann in der Breiten Straße und seit 18 Jahren in Charlottenburg im Tegeler Weg. Während Pedro jetzt auf einer Empore im Laden Räder für Rollstühle zusammenbaut („Man soll sich nicht nur auf die Schallplatten verlassen“) erzählt er in breitestem Prenzelberg-Berlinerisch von seiner Zeit als Kupferschmiedlehrling in Weißensee 1956, von seiner Augenkrankheit und seinem Glasauge, mit dem er immer haarscharf an den Gesprächspartnern vorbeisieht (Wert: 500 DM), und vom kommunistischen Haushalt, aus dem er stammt. 1960 ist er aus dem Osten abgehauen. Angeblich wollten alle Jugendlichen aus der Schönhauser damals nach Kanada. Peter-Pedro kam nur bis Mannheim. Heimweh trieb ihn nach Berlin zurück, diesmal auf die Westseite der Grenze. Statt die Schule zu Ende zu machen, hat er es gleich mit der Musik gehabt. Mit Manuela und Drafi Deutscher hat er Anfang der Sechziger gespielt. Den Namen seiner ersten Band („Breathless“) brachte ein Bandmitglied aus Hamburg mit, der sich den Namen der damals noch unbekannten „Beatles“ nicht richtig gemerkt hatte und nur verdreht wiedergeben konnte. Die Platten mit Erich Silvester und Tommi Hendrichs waren Flops („Mann, ick hab' Platten gemacht, nur hat se keener gekooft“). Da war er mit seinen Secondhand-Platten schon erfolgreicher. In den Regalen stapeln sich mittlerweile 200.000 Stück.
Es ist das größte Plattenantiquariat in Berlin und das viert- oder fünftgrößte in der Welt, sagt Pedro. Die Industrie hat die Produktion von Venylplatten weitgehend eingestellt, nach Pedros Meinung die denkbar beste Entscheidung – jedenfalls für ihn, denn die Nachfrage sei sprunghaft gestiegen.
Wer in den Laden kommt, der sollte Zeit mitbringen. Kunden, die den gesuchten Titel nicht mit Namen kennen, dürfen vorträllern, Pedro singt die vermutete Melodie. Dann taucht er ab in die Weiten seines Lagers, das zum Teil seine Wohnung erobert hat, und kommt nach 10 Minuten mit einem Stapel Singles zurück. Derweil sind die Kunden in Fachgespräche über frühen Rock 'n' Roll oder Plattencover von Jimi-Hendrix-Schallplatten eingetreten. Grund des Verschwindens kann auch sein, daß auf rauhe, aber – mehr oder weniger – herzliche Art und Weise erst einmal eines der fünf Kinder zurechtgewiesen werden mußte.
Auf die internationale Familienmischung sind Pedro und seine aus Wien stammende Frau stolz: zwei koreanische Kinder, ein schwarzer Junge aus Ecuador, ein deutsches Mädchen und Olli, das einzig eigene Kind neben den vier angenommenen. Vor einigen Wochen hat Pedro weiße T-Shirts mit der Aufschrift „Meine Kinder sind Ausländer“ drucken lassen. Die verschenkt er jetzt an Freunde, die in gleicher Lage sind wie er. Das paßt zum Plakat „Gegen Fremdenhaß und Rassismus“, das mangels Platz nicht an der Wand, sondern an der Decke klebt. Und während Pedro gerade sein 20. Rad für die Rollstühle fabriziert, erzählt er von den Radiosendungen, die er jetzt mit seinen Raritäten beim Dudelfunk Hundert,6 macht („Das ist da die subkulturelle Nonstop-Oldiesendung“), nachdem die Leute vom SFB seine Sendung auf öffentlich-rechtlichen Wellen bei der letzten Programmreform gekippt hätten. Von der aktuellen Musik hält er größtenteils nicht viel. „Keine neuen Ideen. Die alten Sachen werden wieder aufgewärmt. Das war schon mal in den Fünfzigern so, als die Schlager der Dreißiger und Vierziger neu aufgenommen wurden.“ Auf sein Lieblingsmusikstück angesprochen, überlegt er lange, um dann zu antworten, daß es eine Schelllackplatte ist, die ihm fehlt: Ernst Busch „Das Lied von den Murmeln“.
Auch in seiner Freizeit kann Pedro das Sammeln nicht lassen. Er sammelt Briefmarken. Sein neuester größter Stolz ist eine der 10 Briefmarken, die 1920 in Ingermanland herausgegeben wurden. Zu weiteren Postwertzeichen hat es das Land nicht gebracht, erläutert Pedro, weil es kurz nach der Unabhängigkeitserklärung wieder von Rußland annektiert wurde. Platten-Pedro sammelt eben Raritäten. Er selbst ist auch eine solche.
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