Ein Ort des militanten Totenkults

■ Lebenslügen des Nazi-Architekten Werner March: Entgegen seiner Darstellung wurde das Olympiastadion von ihm selber als Kultstätte der ästhetisch-ideologischen Kriegsvorbereitung geplant

Der Architekt Werner March, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, ist Erbauer des Olympiastadions. Professor Hans-Ernst Mittig ist Kunsthistoriker, lehrt an der Hochschule der Künste und hat über die Architektur des Olympiageländes geforscht.

taz: Über Werner March heißt es in einer Monographie, er habe dort eigentlich eine moderne Architektur schaffen wollen, habe schlanke Stahlbetonstützen statt der wuchtigen Säulen hinstellen wollen. Mit dieser Lösung soll Hitler nicht einverstanden gewesen sein, deswegen habe Speer dies überarbeitet zur jetzigen Form.

Hans-Ernst Mittig: Diese Mär von der Arbeitsteilung zwischen March und Speer stammt aus Speers Lebenserinnerungen, die auch an vielen anderen Stellen als wahrheitswidrig entlarvt worden sind. Ich kann mich nur wundern, daß diese Nazi-Legende, so wie sie Speer serviert, immer wieder weitererzählt wird. Es ist wahrscheinlich, daß Speer die Pläne vorgelegt wurden und er Änderungen daran vorgeschlagen hat. Daß March aber ein modernes Gebäude hätte bauen wollen und Speer für die Natursteinfassade im Nazi-Stil verantwortlich sei, kann aus mehreren Gründen nicht stimmen. Es ist falsch zu sagen, der Bau hätte einen Wesenskern von moderner Art. So gibt es eine Verbindung zwischen der Verkleidung mit Naturstein zu den zum Teil außen noch versteckt sichtbaren Betonelementen. Da hat March Übergänge geschaffen und den Beton an der Oberfläche so behandelt wie den Naturstein. Das ist ein nahtloser formaler Übergang, der gegen diese Trennungstheorie spricht.

March hat den ursprünglichen Entwurf 1926 gemacht, der später dann überarbeitet worden ist.

Auch diese Darstellung stimmt nicht. Der erste Entwurf von March, den Hitler nach Speers Bericht beanstandete, ist nach Januar 1933 erstellt worden. Der Entwurf ist Nazi-Architektur – auch in der Radikalität, mit der alle älteren Anlagen dort ersetzt wurden.

Weswegen gibt es diese Lügen in der Speerschen Darstellung?

In der Legendenbildung gab es eine Art Arbeitsteilung. Speers Linie nach 1945 war, alles zuzugeben, was ihn nicht das Leben kosten konnte. Er konnte deshalb ohne weiteres die Autorenschaft an irgendwelchen Gebäuden zugeben. Was er nicht zugeben wollte, waren seine aktive Rolle bei der Vertreibung von Juden aus den Berliner Planungsgebieten für seine Großstadtplanung. Grundsätzlich nahm Speer alles auf sich. und March hatte die umgekehrte Strategie: Er leugnete ab, so weit es nur ging, mit den Nazis etwas zu tun gehabt zu haben. Es sind March bei seiner Darstellung schon mehrere Unwahrheiten nachgewiesen worden. Insofern ergänzten sich die beiden bei der Legendenbildung zum Reichssportfeld besonders gut. March gab die Autorenschaft an der Fassade gerne her, und Speer nahm sie sehr gerne an. Das Interesse Marchs war dabei, nach dem Krieg seine Karriere fortsetzen zu können. Er wurde dann ja auch Hochschullehrer an der jetzigen Technischen Universität in Berlin. Es gibt auch einen anderen Grund, warum die Legende nicht stimmen kann: das frühere Reichssportfeld besteht ja nicht nur aus dem Stadion, sondern auch aus vielen anderen Bauten, für die ein Anteil Speers niemals behauptet wurde. Das gilt für das Schwimmstadion. Das ist genauso in Naturstein ausgeführt wie das Olympiastadion selbst. Insofern kann man nicht behaupten, von March stamme nur der moderne Kern der Anlage.

Ein Kennzeichen der Nazi-Architektur und NS-Ideologie war der Totenkult. Läßt sich das im Reichssportfeld finden?

An der olympischen Anlage ist dies ganz besonders deutlich zu finden. Es gibt diese großen Lampenreihen aus dunklem Metall, die sich in den Umgängen monoton erstrecken, die einfach Assoziationen mit Bestattungen auslösen. Auch die Stilisierung der Westseite des Stadions erinnert an Begräbnisstellen: Da gibt es schräggestellte Seitenwände der Eingänge, die an ägyptische Pylone erinnern. Dieses ägyptische Grabmotiv ist in Berlin mehrfach eingesetzt worden. Es war bei dieser Architektur klar, daß sie für Zeromonien dienen sollte und sich deshalb mit diesen Zeremonien nahtlos verbinden ließ. In diesem Rahmen wird Kriegstod und die entsprechende Heldenverehrung angedeutet, übrigens auch im monotonen Klang der Olympiaglocke. Dieser Glockenturm steht ja zudem über der Langemarck-Halle, also über einem Kriegerdenkmal für eine Schlacht im 1. Weltkrieg. In dieser Denkmalshalle weilte Hitler zusammen mit dem Reichskriegsminister direkt vor der Eröffnung der Olympiade 1936. In diesen Elementen der Architektur zeichnet sich ganz deutlich eine Note des Kriegstotenkults ab.

Sind diese Hinweise auf einen militanten Totenkult jetzt noch zu finden?

Das ist ziemlich deutlich in der Stilisierung der Pfeiler und der monotonen Reihenbildung, die dem Architekten auch besonders wichtig war. Dafür spricht auch die Verwendung von sogenannten „Rustika“, grob behauenen Steinquadern, die sich am Stadion und am Schwimmstadion konzentriert. Das soll auch Wehrhaftigkeit andeuten. „Rustika“ als solche ist natürlich überhaupt nicht zu verdammen, aber es kommt auf das Zusammentreffen solcher Andeutungen bei einem Bau an, der ja ein Sportbau und nicht ein militärischer Bau sein sollte. Wenn da überall, wo man hinschaut oder nachforscht, solche Andeutungen anzutreffen sind, dann wird damit der Bereich des Sports verlassen und ein Ziel anvisiert, dem der NS- Sport ganz prononciert diente.

Das Stadion war zum Kriegsende dann ja auch tatsächlich Schlachtfeld. Dort wurden 2.000 Jugendliche in einen sinnlosen Kampf gegen die sowjetische Armee geschickt und getötet.

Dieser Zusammenhang mit dem Ort ist enger, als man es auf den ersten Blick für möglich halten würde. Es wurden noch im März 1945 von Carl Diem, dem Generalsekretär der Olympiade 1936, bei einer Veranstaltung Jugendliche zum „Endkampf“ aufgerufen. Er verwendete dabei ähnliche Wendungen wie beim olympischen Festspiel 1936. Selten kann man die Kontinuität zwischen einer ästhetisch-ideologischen Kriegsvorbereitung und den tödlichen Folgen so deutlich sehen wie auf diesem Gelände.

Für die in den Tod gehetzten Jugendlichen gibt es keine Erinnerungstafel – für Diem gab es eine.

Das ist eine unglaubliche Ungleichbehandlung. Es wäre noch peinlicher, wenn es diese Diem- Plakette noch gäbe. Olympiagegner haben dem Senat damit richtig einen Gefallen getan, daß sie diese Plakette entwendet haben. Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski