: Kartoffeln als Währung
In Restjugoslawien soll ein „Starker Dinar“ eine jährliche Inflation von 100.000.000.000.000.000 Prozent im Jahr abwenden / Lohn in Naturalien / Diskussion über Plan- oder Marktwirtschaft ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Der Dinar soll mal wieder ein paar Nullen verlieren. Am Wochenende kündigte die Regierung Restjugoslawiens an, daß der ab dem kommenden Montag geltende „Starke Dinar“ genau eine DM wert sein und an eine Gold- und Devisengrundlage gebunden werden soll. Zur Zeit liegt der offizielle Wechselkurs bei 600.000. Im Dezember hatte die monatliche Inflationsrate die 100.000-Prozent-Marke erreicht und war damit schon dreimal so hoch wie in der Weimarer Republik. Hundert Millionen Milliarden (100.000.000.000.000.000) Prozent im Jahr hatten Experten ohne eine Währungsreform prognostiziert.
Ob die Wirtschaft in Serbien und Montenegro sich durch die geplante Umstellung stabilisiert, muß aber bezweifelt werden: Denn nur ein Einfrieren der Geldmenge für mindestens ein bis zwei Monate könnte einen neuen Galopp der Inflation stoppen. Rund eine Milliarde US-Dollar müßte Restjugoslawien auf der hohen Kante haben, damit die Staatsausgaben ohne Anwerfen der Notenpresse bezahlt werden könnten. Die aber fehlen schlicht.
Schon heute sind Pfennige, Groschen und Mark das einzige Geld, das die meisten Händler akzeptieren. Ansonsten verlangen sie für ihre Kartoffeln und Schraubenzieher Naturalien. Die Regierung in Belgrad versucht mit Drohungen Dinar und Waren auf dem Markt zu halten. Wer sich weigert, den Kontrolleuren sein Lager zu zeigen, wird verhaftet, heißt es. Und auch bei den vor kurzem für D- Mark-Löhne streikenden Berg- und Eisenbahnarbeitern rückte die Polizei an und nahm einige Leute fest. In den meisten Fabriken Restjugoslawiens wird inzwischen nur noch ein bis zwei Stunden am Tag gearbeitet; viele Menschen sind zu ihren Verwandten aufs Land gezogen, wo die Zutaten für einen Gemüseeintopf im Garten wachsen.
Weil kein Mensch mehr in Dinar bezahlt werden will, warten die Arbeiter oft monatelang auf ihren Lohn. Mit dem Sack Reis, dem Autoersatzteil oder dem Fahrrad, das sie schließlich bekommen, gehen sie auf den Schwarzmarkt, um es gegen lebenswichtige Dinge einzutauschen. Vieles ist in ganz Belgrad nicht mehr aufzutreiben. Die Zeitungen werden immer dünner oder verschwinden ganz, viele Zugverbindungen wurden gestrichen.
Die unabhängige Belgrader Wochenzeitung Vreme berichtet, daß zur Zeit zwei Wirtschaftsprogramme in Restjugoslawien diskutiert werden. Die eine Gruppe, zu der Montenegros politische Führung zählen soll, sieht die Ursache der wirtschaftlich katastrophalen Situation ausschließlich in den UNO-Sanktionen begründet – eine Interpretation, die schon deshalb unhaltbar ist, weil die Inflation in Serbien und Montenegro bereits vor Verhängung des Embargos zu galoppieren begann. Bei dieser Sichtweise ist der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum sehr klein. Ihre Vertreter plädieren deshalb für eine strenge Planwirtschaft als Überwinterungsstrategie.
Wirtschaftsexperten aber halten dagegen, daß alle Probleme hausgemacht sind. Sie fordern, daß ein realistischer Haushalt aufgestellt wird, in dem nur das tatsächlich verfügbare Geld verplant werden darf und eine freie Marktwirtschaft etabliert wird. Serbiens Präsident Milošević schlägt sich wohl aus außenpolitischem Kalkül zu dieser Gruppe. Die Unzufriedenheit bei den Profiteuren der bisherigen Inflationspolitik, vor allem im Militär, ist vorgezeichnet.
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