: Der lange Marsch in die Öffentlichkeit
■ 20 Bremer Mailboxen haben sich zu einem elektronischen Stammtisch, dem „Bremnet“, zusammengeschlossen
Vorbei die Zeiten der verschworenen Grüppchen, des endlosen Chattens, Pointens und Flamens in ganz außergalaktischen Dialekten, vorbei das Werkeln in den Katakomben der Stadtkultur: Die bremischen Mailboxen wollen jetzt ans Licht und möglichst populär werden. Von heute an betreibt die Szene sogar ein eigenes Ladenlokal, gelegen Am Dobben Numero 34, wo alles neugierige Volk herzlich geladen ist.
Vorerst an einem Tag in der Woche darf man hier unter Anleitung per Computer und Modem durch die Welt der Mailboxen flanieren; man erfährt außerdem dies und jenes über die Technik der Datenfernübertragung, und man wird vor allem vom nagelneuen Verein „Bremnet e.V.“ mit der Sache des Bremnet vertraut gemacht.
Zum Bremnet haben sich vor einem Jahr etwa 20 Mailboxen aus Bremen und umzu verbunden. Die Rädelsführer des Projekts hatten ein wenig an der Absurdität gelitten, daß oftmals zwei Straßennachbarn einerseits irgendwelchen planetaren Mailboxnetzen anhingen, andererseits aber voneinander rein gar nichts wußten. Das Bremnet hilft diesem Übelstand ab. Es ist die erste regionale Quasselbude, die sich die Szene geschaffen hat.
In verschiedenen Sparten kann man über Fragen des Sports oder des Kinowesens debattieren, man kann Kleinanzeigen lesen, Witze deponieren oder Hilferufe ausstoßen, falls man beispielsweise mal wieder technische Probleme hat. Grad im letzteren Fall ist das Echo oft enorm: „Man wundert sich manchmal, wieviele Leute da bereitwillig helfen“, sagt Ralf Röber, einer der Betreiber des Bremnet.
Seine Schlechtigkeit kann der Mensch hingegen in der Sparte „Userdreck“ bewähren. Dort geht's anders zu als im restlichen Boxleben, wo die „SysOps“, die Betreiber, in der Regel ein moralisch strenges Regiment führen; dort ist jeder Unflat ausdrücklich erwünscht. Man darf sich sogar unter falschem Namen äußern, was sonst im kulturellen Leben den Mailboxen die größte Sünde ist. Die Sparte „Userdreck“ ist naturgemäß sehr beliebt.
Sehr beliebt ist auch die Sparte „Flirts“, allwo nach Strich und Faden herumcharmiert wird. Dort trifft man regelmäßig die wenigen Frauen an, die sich für die Sache der Mailboxen begeistern können. Ansonsten ist die Überzahl der Männer eine ziemlich niederschmetternde. „Frauen haben was Besseres zu tun, nehme ich mal an“, sagt Gaby Rosenbaum vom Bremnet, nebenberuflich eine Autorin von Computerbüchern, die ihrerseits gerade von der Rasanz der Nachrichtenzirkulation angetan ist.
Jede Botschaft steht ja sofort allen Interessenten zur Verfügung. Und ganz unvermeidlich gesellt sich zur technischen Möglichkeit das passende Ideal: “Wir wollen weltweite freie Kommunikation auf allen elektronischen Wegen!“ So steht's geschrieben auf dem Flugblatt, welches das Bremnet jetzt in der Öffentlichkeit vertreibt.
Der Zugang wäre tatsächlich simpel genug: Wer sich zum heimischen Computer noch ein Modem beschafft, kann sich sogleich über Telefonleitung in eine Mailbox einschalten. Das ist im Prinzip nichts als ein anderer Rechner, der sich mittels geeigneter Software quasi fernbedienen läßt. In den Tiefen seines Speichers findet man, wohlsortiert nach „Brettern“, Gelegenheiten, Nachrichten zu lesen oder zu hinterlassen, man kann aber auch ganze Dateien, bspw. Bilder oder nützliche Programme, herausholen oder deponieren, je nachdem.
Das Bremnet funktioniert nun folgendermaßen: Mehrmals täglich schaufelt sich Ralf Röbers Zentralrechner die Neuigkeiten aus den Bremnet-Brettern der angeschlossenen Mailboxen zusammen und schickt die Summe in die einzelnen Boxen zurück.
Ralf Röber schätzt, daß sich bereits 20.000 Menschen aus dem Weser-Ems-Raum damit auf dem laufenden halten, und es sollen jetzt durchaus mehr werden. Da ist den alten Datenpiraten kein Schritt zu klein, und wenn es die Gründung eines Vereins ist. Pünktlich zur Einweihung des neuen Raumes wird heute abend (19.30 Uhr) der „Bremnet e.V.“ installiert. Über die Öffentlichkeitsarbeit hinaus wird der Verein regelmäßige Treffen organisieren (donnerstags 19 Uhr, jeweils in den ungeraden Kalenderwochen) und allen Menschen guten Willens zweckdienliche Beratung bieten.
Falls jetzt schon jemand schnuppern möchte: In den Räumen der Städtischen Galerie im Buntentorsteinweg steht, solange die interaktive Ausstellung der Arleen Schloss noch währt, ein Computer des Bremnet herum, und sobald man ein wenig auf den Tasten klimpert, springt eine Fachkraft herbei und hilft einem auf den Weg.
Manfred Dworschak
Kontakt: Ralf Röber, 557 97 09
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