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Mehr St. Pauli als Palermo

Im seit zehn Monaten laufenden Prozeß gegen den angeblichen „Paten von Berlin“ tut sich die Anklage schwer, Klaus Speer als Chef eines kriminellen Geschäftsimperiums festzunageln  ■ Von Gerd Nowakowski

Den Unterhaltungswert hätte das Verfahren nach fast 60 Verhandlungstagen wohl längst verloren, gäbe es nicht das unendliche Duell des Verteidigers Horst Mahler mit Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer. Ende vergangener Woche hatte sich Mahler, der der Staatsanwaltschaft unentwegt vorhält, sie ermittle gegen unbescholtene Menschen weit jenseits der Legalität, eine weitere Provokation ausgedacht: Während der Zeugenaussage benutzte Mahler ein kleines Aufnahmegerät und diktierte deren Darstellungen. Den ebenso zwangsläufigen wie erfolgreichen Protest der Staatsanwaltschaft – Bandgeräte sind im Gerichtssaal verboten – konterte Mahler mit einer sonoren Suada über die Behinderung der Verteidigung und dem Ruf nach höchstrichterlicher Klärung.

Nach zehn Monaten Verhandlungsdauer gegen Klaus Speer und vier weitere Angeklagte ist die Atmosphäre aber trotz des Kleinkriegs im juristischen Unterholz fast familiär geworden. Von öffentlichem Interesse keine Spur mehr – auf den Zuschauerbänken harren nur noch die engsten Angehörigen und Freunde der Angeklagten aus. Ermattung auf allen Seiten schlägt dem Beobachter entgegen. Auch beim kürzlich neunundvierzig Jahre alt gewordenen Klaus Speer – zum Geburtstag gab es von der Ehefrau Glückwünsche per Anzeige in einer Boulevardzeitung – ist nach eineinhalb Jahren Haft wenig von der anfänglichen Sunnyboy-Pose übergeblieben. Aus seinem panzerglasgesicherten Kasten signalisiert er seiner Frau in einer Verhandlungspause, er habe Magenschmerzen.

Der Angeklagte wird wohl noch einige Zeit ausharren müssen. Sollte das Verfahren ursprünglich Ende Januar beendet sein, ist es nun bereits bis zum Oktober dieses Jahres terminiert. So lange wird es noch dauern, die 526 Seiten starke Anklage abzuarbeiten, mit der Fätkinhäuer beweisen möchte, daß Klaus Speer der „Pate von Berlin“ ist. Der einst wegen einer Schießerei in der Bleibtreustraße bekanntgewordene Speer soll zentrale Figur eines Geschäftsimperiums mit allen Merkmalen der Organisierten Kriminalität sein.

Seit 1988 hat die Polizei mittels intensiver Beschattung und Ausforschung die Anklageschrift zusammengetragen. Die Anklage mit einer Vielzahl von Delikten wie Betrug, räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, unerlaubtem Glücksspiel, gewerbsmäßigem Wucher, Bestechung und unbefugtem Waffenbesitz liest sich wie ein Querschnitt durch das Strafgesetzbuch. Die kriminelle Dunkelzone soll mit 226 Zeugen aufgehellt werden, hatte sich die Staatsanwaltschaft vorgenommen.

Doch so eindrucksvoll die Anklageschrift auf den ersten Blick wirkt, so schwer tut sich die Staatsanwaltschaft damit, die Vorwürfe zu untermauern. Unter den unentwegten eloquenten Angriffen von Horst Mahler gerät Oberstaatsanwalt Fältkinhäuer ein ums andere Mal in die Defensive. Oft genug erscheint die Anklage wie eine gigantische Anhäufung von Halbwissen, wie eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit – auf den ersten Blick beeindruckend, beim Nachbohren mehr als löcherig und den Dilettantismus der Ermittler offenbarend.

Die politische Dimension des Verfahrens ist beiden Seiten dabei sehr bewußt: Horst Mahler spielt souverän die Rolle des Bürgerrechtlers, der die legitimen Freiheitsrechte mündiger Bürger verteidigt gegen das grenzenlose Ausforschungsinteresse staatlicher Organe unter dem Deckmantel der kriminellen Bedrohung. „Hier wird von Staats wegen ein Verbrechen begangen“, ist Mahler überzeugt. Seinen Mandanten lernte er einst im Knast kennen, als Speer wegen Bandenbildung und Horst Mahler wegen der Befreiung des RAF-Gründers Andreas Baader saß.

Für Fätkinhäuer wiederum ist der Prozeß gegen Speer das Pilotprojekt, um das Phänomen Organisierte Kriminalität juristisch festzunageln. Schließlich argumentiert er seit langem mit Hinweis auf die gesellschaftliche Bedrohung durch Verbrecher-Konzerne vehement für den Großen Lauschangriff und rigorose Mittel gegen die Geldwäsche.

Aber werden hier wirklich mafiose Strukturen ausgeleuchtet? Wer nach der für die Organisierte Kriminalität charakteristische Verschränkung von legalen und illegalen Geschäften sucht, wird nahezu enttäuscht. Fast alle Anklagepunkte folgen dem Strickmuster der Kriminalität im Halbwelt-Milieu: Da wurden Spielschulden unter Drohungen eingetrieben, Geschäftspartner aus der Unterwelt aufs Kreuz gelegt oder geleaste Baumaschinen verkauft – insgesamt mehr St. Pauli als Palermo. Mehr als wacklig ist auch der „Kronzeuge“ der Anklage. Der angeblich von Speer unter Drohungen zur Zahlung mehrerer hunderttausend Mark genötigte Mann sei selber ein Millionenbetrüger, der – so Mahler – von der Staatsanwaltschaft vor der Strafverfolgung geschützt wird, um dessen Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten.

Klaus Speer, der im Knast brav die Messe besucht, sieht sich denn auch als unschuldiges Opfer. Bis zu seiner Inhaftierung im Sommer 1992 als Boxpromoter und Besitzer einer Sportschule geschäftlich erfolgreich, sei er längst kein schlimmer Finger mehr, sondern ein Musterbeispiel gelungener Resozialisierung. Das geachtete Mitglied im gesellschaftlichen Leben Berlins verhalf selbst Kanzler-Gattin Hannelore Kohl mit seinen Tips zum Roulettegewinn. Im vergangenen Sommer verzichtete Speer gar auf eine Aufhebung der Kontaktsperre, um jeden Verdacht zu zerstreuen, er würde die Hafterleichterung benutzen, um auf Zeugen einzuwirken.

Oft genug stochert das Gericht im ungefähren und scheitert daran, daß ein Eintreiben von Geldern und Erpressung immer eine Dimension der körperlichen Bedrohung hat, die keine juristisch nachweisbaren Spuren hinterläßt – und dennoch erfolgreich ist. Da ist beispielsweise der Zeuge R., der es nach einem „Gespräch“ im Restaurant „Guido“ anstandslos übernahm, die von einem Bekannten gemachten Schulden in Höhe von 141.000 Mark zu begleichen. Weigere R. sich, so soll ihm Speer klargemacht haben, werde er andere „Mittel und Wege finden“. Damit, so die Staatsanwaltschaft, spielte Speer „auf seine in der Szene bekannte Gewalttätigkeit an“. Das mag eine wahrheitsgemäße Beobachtung sein, eine beweiskräftige Basis für die Anklage ist es wohl kaum. Besonders dann nicht, wenn nicht Speer, sondern ein ganz anderer gedroht haben soll und dieser Erpresser sich als seit vierzig Jahren unbescholtener Beamter herausstellt, der nicht einmal weiß, wo das Restaurant „Guido“ ist. Kein Wunder, daß Speer im Glaskasten feixt.

Daß Horst Mahler in Moabit sichtbar das Feld beherrscht, wird durch diese Schwachstellen der Anklage begünstigt. Ein Beweis, daß die Angeklagten unschuldig sind, ist es freilich nicht. Die Zeugenvernehmungen illustrieren vielmehr oft genug die Klage der Staatsanwaltschaft, daß die prozessualen Mittel bei der Organisierten Kriminalität unzureichend sind. So im Fall 21 der Anklage: Der auf der Mariendorfer Trabrennbahn nicht unbekannten Fahrerin Marion J. wurde 1987 von einem der ihr bekannten Angeklagten 45.000 Mark abgenommen – mit einem gefälschten Wechsel. Dennoch zahlte die Frau den Betrag an den damals mit der Sache betrauten Rechtsanwalt Mahler, ohne jemals Anzeige wegen Urkundenfälschung zu stellen. Warum, wollten Richter und Staatsanwalt erfahren und sahen sich bemerkenswerten Gedächtnislücken der Geschädigten gegenüber. Angst, ja, Angst hätte sie schon gehabt, gab sie schließlich zu – aber nur allgemein und natürlich nicht vor den Angeklagten. Verschüchtert, mit einem scheuen Lächeln verließ sie nach Ende ihrer Aussage den Saal; nicht wagend, die Angeklagten zu mustern. Diese verfolgten das Schauspiel, das einem Punktgewinn gleichkam, ohne jede Regung.

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