■ Spätlese: Glück
Manche Schriftsteller sind für das Welke zuständig, das sie eben zur höchsten Blüte bringen: Tschechow zum Beispiel, dessen Bühnenfiguren in trüber Besorgnis ihre Möglichkeiten in der Provinz verdämmern; Thomas Mann, dessen begabteste Romanhelden ihren Verfall mit Selbstekel wahrnehmen; Herman Bang schließlich, dessen Protagonisten ihr Leben in mürbem, dänisch gemildertem Ennui zubringen. Häufig sind es die Frauen, die – hitzig, wie im Fieber agierend und agitierend – für Minuten oder Stunden die fade Endzeitlichkeit verlassen und so ihre Männer und Freunde in Verlegenheit und Beschämung stürzen: Anton Tschechows „Schwestern“, Thomas Manns Tony Buddenbrook – und Fräulein Alice, die Heldin in Herman Bangs „Geschichte vom Glück“.
Walter Boehlich hat auch diese Erzählung Bangs mit genau jener Schwerelosigkeit ins Deutsche gebracht, ohne die den auf Übersetzung angewiesenen LeserInnen nie aufgehen könnte, wie einzigartig und wunderbar dieser Autor ist: Etwas Hellzartes ist darin, etwas mild Verhangenes – und hin und wieder der Absturz in die Rüdigkeit. Der daran erinnert, daß der Dichter zwar Melancholiker war, ihn dies aber nicht hinderte, in gebeizten Formulierungen der sozialen Wahrheit die böse Ehre zu geben: „Das Pastorsfräulein war ein vierzigjähriges Hintrocknen“, so steht es da. Und Mynheer Peeperkorn aus dem „Zauberberg“ würde anschließen: „Durchaus – perfekt – ERledigt.“ Dabei ist Bang, behaupte ich, ein Frauenfreund: Seine Fräuleins begehren durchaus nicht ohne Anmut auf, sie haben Elan und Güte und scheinen dem absterbenden 19. Jahrhundert nicht gar so ausgeliefert wie seine Herrenfiguren: Die wissen weder, wohin mit sich noch wohin mit ihrer Zeit, und so spielen sie Karten, bis sie, bemoost bis an den Leutnantskragen, in die Familiengruft sinken dürfen. Nur hin und wieder ist einer des Augenmerks wert: so auch der Kammerjunker Georg Berner, „der einzige, der nicht lächerlich ist“ – in den Augen der Hofjägermeisterstochter Alice, die, wie gesagt, auf hinreißende Art alle in Verlegenheit bringt, weil sie mit Mutwillen darauf besteht, noch immer lebendig zu sein.
Damit ist sie eine Ausnahme. „Seine Wesensart war Betrübnis“, heißt es von einem Häusler in Herman Bangs „Geschichte vom Glück“. Die letzten vom Autor überlieferten Zeilen sind aufgeklärte Betrübnis: „Und wir sitzen auf dem zitternden Sofa, schweigend, nebeneinander, vor dem großen Spiegel – vor unsern eigenen zitternden Bildern.“
Herman Bang: „Eine Geschichte vom Glück“. Aus dem Dänischen von Walter Boehlich, Friedenauer Presse Berlin, 32 Seiten, 16,80 DM.
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