„Boys will be girls and girls will be boys“

Transsexualität: Wenn Menschen das Empfinden haben, mit dem falschen Geschlecht leben zu müssen / Nicht alle Transsexuellen lassen sich gleich operieren – es gibt auch eine „kleine Lösung“  ■ Von Uta Klein

Die Bescheinigung des Chirurgen liest sich sachlich und kühl: „Ich habe bei Dr. Schiffels am 24.8.89 das Scrotum abgetragen, am 29.8.89 den Penis amputiert und eine künstliche Scheide angelegt und mit einer weiteren Operation am 4.1.90 eine weitgehende Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts herbeigeführt. Fortpflanzungsfähigkeit besteht nicht mehr.“ Für Waltraud Schiffels hingegen war dies der glücklichste Tag ihres Lebens, der Tag, an dem ihr neues Leben begann. Bis dahin hatte sie über 40 Jahre als Mann, als Walter Schiffels gelebt. Ein äußerlich gutbürgerliches Leben als Fachbereichsleiter einer Volkshochschule und Kommunalpolitiker.

Transsexuelle gehören ihrem Empfinden nach zum „anderen“ Geschlecht. Es sind Menschen mit einem männlichen Körper, die sich als Frau fühlen, und solche mit einem weiblichen Körper, die sich als Mann fühlen. Sie leben im „falschen Körper“ und wünschen sich sehnlichst, dem biologisch anderen Geschlecht zuzugehören und als solches von der Umwelt akzeptiert zu werden.

Wie Waltraud Schiffels haben sie häufig einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie selber herausgefunden haben, daß sie transsexuell sind. Walter Schiffels führte jahrzehntelang ein Doppelleben. Nachts hielt er sich im sogenannten halbseidenen Milieu auf und lebte seinen geheimsten Wunsch, das Frausein, in Sexshops aus. Wie andere Mann-zu-Frau- Transsexuelle auch hatte er geheiratet, um sich und anderen sein angeborenes Geschlecht zu beweisen. Transsexuelle manövrieren sich und ihre Angehörigen damit nicht selten in eine Situation, die am Ende scheitern muß. Der Zusammenbruch Walter Schiffels' kam, nachdem er längst zum Alkoholiker geworden war und einen mißlungenen Selbstmordversuch hinter sich hatte. Erst da fiel die Entscheidung, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen.

Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen fällt die Entscheidung, als das Wunschgeschlecht zu leben, früher. Sie sind in der Regel jünger, wenn sie sich zur Operation entscheiden. Doch nicht alle Transsexuellen lassen sich operieren. Das Transsexuellengesetz sieht seit 1981 auch die sogenannte „kleine Lösung“ vor. Damit kann der Vorname offiziell geändert werden. Zwei Gutachten müssen die transsexuelle „Prägung“ bestätigen. Für die „große Lösung“ wird neben diesen Gutachten der Nachweis verlangt, daß der oder die Antragsteller/in dauernd fortpflanzungsunfähig und nicht verheiratet ist und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen hat. Das Verfahren dauert insgesamt einige Jahre. Wenn das Gericht als letzte Hürde genommen ist, werden sämtliche Personalpapiere bis zurück zur Geburtsurkunde geändert.

Vor einem chirurgischen Eingriff müssen Operationswillige in einem sogenannten Alltagstest beweisen, daß sie das Leben des Wunschgeschlechts führen können. Das ist kein leichter Schritt, reagiert die Umwelt doch häufig verständnislos und ablehnend. Danach folgt eine Hormonbehandlung. Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen vergröbert sich die Haut, die Stimme wird tiefer, und die Körperbehaarung nimmt zu.

Während all dieser Umwandlungsstationen entscheiden andere darüber, ob das Gefühl der Transsexuellen glaubhaft sei. Stefan Hirschauer nennt das in seiner Studie (1993) eine „Arbeitsteilung“ der beteiligten Professionen: „Die Endokrinologen (die, die Hormonbehandlung durchführen. d.A.) legen ,erste‘, die Chirurgen ,letzte Hand‘ an. Beide stützen sich dabei auf die Diagnose der Psychiater, die erst die Patienten zur Rede stellen und dann den Richtern das ,letzte Wort‘ geben.“

Ist die Operation als Hürde genommen, ist es anschließend für Transsexuelle mindestens genauso schwer, ein neues Leben als das „andere“ Geschlecht zu beginnen. Denn von der Umgebung wurde der biologische Mann bis dahin als Mann behandelt, auch wenn er sich innerlich nicht so fühlte. Transsexuelle müssen im Laufe der Zeit feststellen, daß ihre eigenen Vorstellungen häufig klischeehaft sind. So fror Waltraud Schiffels in ihrem ersten „Frauenwinter“ erbärmlich: Für sie war die Frau erst mit Stöckelschuhen, dünnen Nylons und Rock ideal. Inzwischen hält sie dieses Verhalten für absurd.

Geschlechter werden mit Hilfe vieler subtiler Alltagspraktiken konstruiert. So stellte Christian Fischer (siehe Interview) nach seiner Geschlechtsumwandlung plötzlich fest, daß Frauen seinem Blick ausweichen und viel schneller wegschauen. Oder daß wildfremde Männer ihn plötzlich kumpelhaft duzen. Als Christian noch Christiane hieß, war das nicht der Fall.

Waltraud Schiffels hingegen erlebte, daß sie in Gesprächen von Männern plötzlich ständig unterbrochen wurde. Die promovierte Germanistin wurde auch nicht mehr mit „Herr Dr. Schiffels“, sondern mit „Frau Schiffels“ angesprochen. Mann-zu-Frau-Transsexuelle merken schnell, daß sie sich in eine gesellschaftlich untergebene Position gebracht haben.

Um etwas dagegen zu unternehmen, arbeitet sie heute bei der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen mit und wurde dort Vorsitzende eines Ortsvereins. Und auch die lesbische Frauengruppe in ihrem Heimatort akzeptiert Waltraud Schiffels mittlerweile als Frau in ihrer Mitte.