Dem Apparat hilflos ausgeliefert

■ Die Initiative "Medico Watch" will Einfluß auf die Darstellung von ÄrztInnen im Fernsehen nehmen

„Anfangs haben wir uns das ja noch amüsiert angeschaut“, erinnert sich die Münchner Ärztin Dr. Christina Berthold, „wie dieser Professor Brinkmann seinen Patienten mit Handauflegen und guten Worten vor einer Bypassoperation bewahren konnte, das hatte ja durchaus Unterhaltungswert“.

Inzwischen ist der Internistin das Lachen allerdings vergangen. Immer häufiger beschweren sich die Patienten über ihre angeblich „herzlosen“ Anamnesemethoden, fühlen sich schon am EKG der Apparatemedizin hilflos ausgesetzt und verlangen unbelehrbar nach den guten Ratschlägen aus den Fernsehserien.

Nicht nur die „Schwarzwaldklinik“, auch der „Landarzt“, die „Fliegenden Ärzte“, „Die Praxis Bülowbogen“ und nicht zuletzt der väterliche Dr. Dressler aus der „Lindenstraße“ haben das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig erschüttert. Einfühlsam, von Lebensweisheit umspült und vom Guten im Menschen überzeugt, so stellt das Fernsehen den Arzt von heute dar. Statt mit der chemischen Keule heilt er durch persönlichen Zuspruch oder wenn's gar nicht anders geht, auch mal mit einem verabreichten Zucker-Placebo.

Als die Hausmittel-Ärzte aus dem Fernsehen den Kassenpatienten ein gesundes Mißtrauen gegen den Pillenberg einimpften, kam das anfangs auch bei den Ärzten gut an. Seit aber der zunehmende Einfluß der „TV-Ärzteschwemme“ (Berthold) zu einer landesweiten Rezeptblock-Hysterie führte, beginnen sich Deutschlands Ärzte zu wehren. „Wenn das so weitergeht, können wir eines Tages den Kranken nicht mehr helfen, ohne ein ärztliches Gutachten von Dr. Brockmann aus Berlin einzuholen“, ärgerte sich stellvertretend für viele ein Gynäkologe im Fachblatt Hippokrates.

Als Christina Berthold dann auch noch aus ihrer Fernsehzeitung erfahren mußte, daß nun auch die ARD („Ärzte“) und Pro 7 („Die Notärztin“) Mediziner-Serien planten, wurde die in Unterföhring niedergelassene Internistin aktiv. Im März letzten Jahres gründete sie die Initiative „MedicoWatch“. Das mittlerweile mit zwei festangestellten MitarbeiterInnen arbeitende Büro in der Münchner Bahnhofsstraße hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Sendeanstalten und Produktionsfirmen für den zunehmenden Realitätsverlust im Arzt-Partienten-Verhältnis zu sensibilisieren. Ihre MitarbeiterInnen Karla Spielweg und Conny Knipper verwalten gemeinsam ein Video-Archiv mit den kritischsten Ärzte-Serien und sammeln Erfahrungsberichte aus den Praxen und Großkliniken der ganzen Republik. Auf einen Aufruf im Hippokrates reagierten im letzten Monat immerhin 167 KollegInnen, „ein deutliches Zeichen für den Notstand in den Wartezimmern“, wie die MedicoWatch-Büroleiterin Spielweg erklärt.

Seitdem sind auch die Ärztekammern von Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg und Berlin auf die Misere aufmerksam geworden. Zu je einem Viertel beteiligen sie sich jetzt an der Finanzierung des Projektes, und treiben ihrerseits die Wirkungsforschung voran: In Tübingen wurde eine interdisziplinäre Studie zum Problemfeld „Realität Serie – Serienrealität. Das Bild des Arztes im Fernsehen“ in Auftrag gegeben.

Besonders der alte Doktor Brockmann von der ARD-Serie „Praxis Bülowbogen“ ist den MitarbeiterInnen von MedicoWatch ein Dorn im Auge. Allzuoft sehe der doch aus, als habe er schon zum Frühstück einen Cognac gekippt, meint Initiatorin Berthold mit fachlich geschultem Auge erkannt zu haben. Aber auch das Leben des „Landarztes“ Mattiesen (ZDF) gilt in Kollegenkreisen als zu rosig. Gerade hier draußen werde die Arbeit immer komplizierter, weiß Helmut Singer, selbst Landarzt im Rheinischen. Denn seit die sichere Diagnose sich immer häufiger auf teure Apparate stützt, müssen die meisten Patienten sowieso zumeist ins nächste Kreiskrankenhaus überwiesen werden. „Das geht dann eben gut, oder sie kommen als chronisch Kranke zurück in unsere Praxen“, erklärt Singer. In seinem Sprechzimmer dominieren neben den harmlosen Erkältungsvorfällen vor allem die Rheumapatienten und Herzerkrankten den Arbeitsalltag.

Neben der kritischen Durchleuchtung der Serienfiguren hat sich MedicoWatch auch der Reform des Krankenhausalltags selbst angenommen. So lange das Fernsehen jeden Abend Halbgötter in Weiß präsentiere, müßten die Fernsehgeräte aus dem Krankenhauszimmer verbannt werden, fordert Christina Berthold. Daß die Kliniken durch den Verleih von Empfangsgeräten (in der Frauenklinik München zu einem Tagessatz von 6 DM) auch noch „ein nettes Sümmchen mit dem Serienschund verdienen“, findet sie skandalös. Bis die „präventive Therapie“ mit den Serienherstellern gefruchtet habe, müsse der Kranke vor dem Fernseher im Patientenzimmer geschützt werden.

Aber die TV-Anstalten tun sich noch schwer mit dem Anliegen von MedicoWatch. Vor allem die privaten Fernsehstationen lassen kaum mit sich reden. Die meisten Serien werden von den kommerziellen Sendern abspielfertig in den USA, Holland oder in Tschechien eingekauft. Da sei dann „wenig zu machen“, weiß Conny Knipper, bei MedicoWatch für die Privaten zuständig. Aber auch Karla Spielweg mußte sich belehren lassen, daß „bei den Öffentlich-Rechtlichen die Quote vor dem Gewissen“ kommt. Monatelang habe sie mit Geißendörfer und dem Autoren-Team der „Lindenstraße“ verhandelt, ob sich die in der Serie angesiedelte Allgemeinmedizinerin Dr. Sperling nicht endlich der Tablettensucht ihrer Sprechstundenhilfe Berta Griese annehmen könne. „Da wird die Ärzteschaft doch dargestellt, als beschäftige sie sich vornehmlich mit ihren eigenen, privaten Problemen“, so die Leiterin des MedicoWatch-Büros. Das sei genauso praxisfern wie die dramatische Einweisung der Vera Drombusch in eine an Isolationsfolter erinnernde Psychotherapie.

Einen kleinen Erfolg kann das umtriebige Team immerhin verbuchen. Daß Berta in der Silvesternacht – weil ohne Rezept – vergeblich an den Apothekentüren der Umgebung klingeln mußte, konnte man Hans Geißendörfer dann doch abringen. Die Deutsche Apothekenvereinigung faxte MedicoWatch daraufhin einen freundlichen Neujahrsgruß. Aus gutem Grund überlegt nun der Dachverband, sich ebenfalls an der „erfreulichen“ Initiative zu beteiligen: Heute abend läuft der ZDF- Vierteiler „Kein Rezept für die Liebe“ an. In der Hauptrolle glänzt Marie-Luise Marjan als „lebenslustige Apothekerin“. So verspricht es der Pressetext zur Serie.

Gemeinsam mit der Apothekerinnung ist ein Kongreß mit dem Thema „Fernsehen als Heilung? Angewandte Medizin in Fiktion und Wirklichkeit“ für den kommenden Herbst geplant. Medienmacher, Mediziner und Pharmazeuten sollen auf dem drei Tage dauernden Hearing einen Ausweg aus der Krise suchen. Als Gastredner haben bereits der ehemalige Leiter der ZDF-Abteilung Gesundheit, Hans Mohl, und die Fernsehärztin Dr. Antje Kühnemann zugesagt.

Auch für 1995 hat sich MedicoWatch schon Ziele gesetzt. Man will sich dann ebenfalls der vielen Werbespots annehmen, die mit falschen Zahnärzten und unsachlichen Versprechungen auf Kundenfang gehen. An den Serienstarts von den „Ärzten“ (ARD) und der „Notärztin“ (Pro 7) konnte allerdings selbst MedicoWatch nichts mehr ändern. Allein die Unterhaltungsabteilung des ZDF zeigte sich einsichtig und kooperativ. Eine Wiederholung der „Schwarzwaldklinik“, so kam die Versicherung vom Lerchenberg, sei beim ZDF vorerst nicht geplant. Klaudia Brunst

Kontakt: MedicoWatch, Bahnhofsstraße 27a, München-Unterföhring, Tel. 089/95 001 251