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Mailboxen, Gegenöffentlichkeit, Szenebars

■ Return to Sender: Politischer Widerstand 1991-93 und seine magischen Kanäle. "Copyshop" - ein Buch als Kunst- und Polit-Sampler vom Künstlerduo BüroBert aus Düsseldorf. Vom Wohlfahrtsausschuß ...

Vor knapp einem Jahr schossen in einigen westdeutschen Großstädten sogenannte Wohlfahrtsausschüsse aus dem Boden. Die Kunde von dieser hippen, neuen, politisch korrekten Angelegenheit machte wie ein Lauffeuer die Runde, zumindest war es ein kleiner Schritt für die fast schon aus dem Gedächtnis gestrichene Gegenöffentlichkeit. Aber erinnert sich noch jemand, wie dann im Sommer mit viel publizistischem Trara von taz bis Die Woche einige Hamburger Indiebands zur Tour in den Osten aufbrachen, um in Rostock, Leipzig und Dresden nach dem Rechten zu sehen und nach aufrechten jungen Linken zu suchen? Daran, wie eine Woche später in Köln ein vom dortigen Wohlfahrtsausschuß veranstalteter Kongreß unter dem Titel „Zur Abwehr des gegenrevolutionären Übels“ die Erde erzittern ließ? Und daran, wie man von der ganzen Bewegung seither nicht mehr so arg viel gehört hat?

Schade eigentlich. Da hatte man doch für einige Monate den Eindruck gehabt, daß in Städten wie Hamburg, Köln, Frankfurt und Düsseldorf die junge Kunst- und Musikszene aus ihrer über ein Jahrzehnt währenden politischen Agonie aufgewacht war und – angeekelt von volksfestartigen Pogromen und der De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl – dem allgemeinen Rechtsruck und dem wie ein Untoter zurückgekehrten Nationalismus im wiedervereinigten Deutschland „etwas Besseres als die Nation“ entgegensetzen wollte. In den Wohlfahrtsausschüssen hatten sich zum ersten Mal seit langer Zeit Menschen aus der Musik- und Kunstszene und der Journaille zusammengefunden mit Leuten aus traditionellen linken Gruppen: Antifas, Flüchtlingsunterstützer, Ausländergruppen. Und die Hoffnung, daß diese ganze Geschichte nicht bloß ein Strohfeuer war, möchte man im Augenblick noch nicht so ganz aufgeben – dafür war die Idee eigentlich zu gut. Einen gewissen Anlaß zu dieser Hoffnung liefert das Buch „Copyshop“ des Düsseldorfer Künstlerduos BüroBert, das Projekte, Ausstellungen und Aktionen der letzten Jahre dokumentiert, die sich an der Schnittstelle von Kunstpraxis und politischem Aktivismus bewegen.

Angeregt durch US-amerikanische Aktivisten wie die New Yorker Künstlergruppe Group Material eröffneten sie als Gegenprogramm zu der Kölner Kunstmesse Art Cologne im November 1992 in der ehemaligen Szenebar Päff für einen Monat ihren „Copyshop“: eine Mischung aus Info-Laden und Ausstellung, Kneipe und Galerie. Die Besucher konnten sich in einer Bibliothek, mit Videos, mit einem interaktiven Computerprogramm und per Mailbox über „gegenöffentliche“ Projekte aus dem künstlerischen wie politischen Bereich informieren, die auf der Art Cologne keinen Platz gehabt hätten. Eine Wandzeitung dokumentierte die „Sanierung“ des umliegenden Viertels durch den Versicherungskonzern Gerling.

Aus den damals gesammelten Informationen und Dokumenten kommt ein großer Teil des in diesem Buch-„Samplers“ zusammengestellten Materials. Durch das ganze Buch verstreut finden sich kurze Darstellungen von künstlerischen Projekten wie Martha Roslers Ausstellung „If you lived here“ über Obdachlosigkeit in New York oder Christian Philipp Müllers Installation „Vergessene Zukunft“, die rassistische und sexistische Elemente in Le Corbusiers Philips-Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1958 aufzeigt. Gleich daneben stehen Artikel über Info- Läden und das Amsterdamer ID- Archiv, in dem alternative, linke und militante Zeitschriften gesammelt werden. Diese Projekte scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben. Gemeinsam ist ihnen jedoch, daß sie dem herrschenden Hegemonialdiskurs widersprechen: So wie die Zeitungen und Zeitschriften, die im ID- Archiv gesammelt werden, über das berichten, was der Mainstream-Presse keine Erwähnung wert ist, so spricht Müllers Installation soziale und politische Implikationen in Le Corbusiers Architektur an, die in der Kunstgeschichtsschreibung und im Feuilleton kein Thema sind.

Die Auswahl, die BüroBert aus den Beispielen für künstlerisch-politische Aktionen der letzten Jahre getroffen haben, sind eher undogmatisch, ohne dabei beliebig zu sein: Die Wohlfahrtsausschüsse etwa kommen genauso vor wie die Berliner Gruppe Kritische Aids- Diskussion, das Internationale Frauenaktionsbündnis oder eine Belebtschlamm-Wasserkläranlage der Düsseldorfer Künstlerin Ulrike Holthöfer. Längere Essays von anderen Autorinnen referieren unter anderem die mediale Umsetzung und den Stand der gender studies in den USA, ebenso wie über die mangelnde Resonanz hierzulande. Dann wiederum wird über Bio-Engineering und Aids berichtet. Da „Copyshop“ laut Untertitel ausdrücklich Öffentlichkeit herstellen will, würde man sich allerdings oft eine etwas weniger geschraubte, leichter zugängliche Sprache wünschen.

„Copyshop“ ist als Handbuch angelegt, das weder Vollständigkeit beansprucht noch über eine neue und ambitionierte Kunstbewegung informieren will. Das aber tut es mit materialreicher Gründlichkeit, die das Buch zu einem nützlichen Reader macht, in dem man viel über den State of the art von künstlerisch-politischen Projekten erfährt, die im Kunstdiskurs sonst gerne als ästhetisch substanzlos abgetan werden. In einer Art Lexikon sind am Ende des Buches weitere Stichwörter aus den verschiedensten Bereichen und Mediengattungen aufgelistet: von Wandmalerei bis Mailboxen, von Flugblättern bis zu T-Shirts. Das geht von Offenen Kanälen über die Spaßguerilla bis zu dem linken Liedermacher Walter Moßmann (!), von der „Medienrevolution“ in Rumänien bis zu Act Up. Damit die Informationen nicht totes Material bleiben, finden sich auch Kontaktadressen der meisten Gruppen und Projekte und sogar Mailbox-Nummern von linken Computer-Netzwerken.

Ausdrücklich User-freundlich angelegt ist auch das Layout des Buches, das anscheinend auf einem MacIntosh-Computer entworfen worden ist. Dessen DTP- Software hat es den Herausgebern nicht nur gestattet, das Buch lesefreundlich zu gestalten, sondern trägt auch zu der für eine derartige Publikation ungewöhnlichen Aktualität bei. Selbst das Fiasko in Bad Kleinen wird noch im Text erwähnt. Dem Gebrauchswert des Buches hätte ein Inhaltsverzeichnis freilich keinen Abbruch getan. Tilman Baumgärtel

BüroBert: „Copyshop. Kunstpraxis und politische Öffentlichkeit. Ein Sampler“. Edition ID-Archiv Berlin, 240 Seiten, Subskriptionspreis bis 31.3.94 29,80 Mark, danach 38 Mark

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