: Gesetz trennt Flüchtlingsfamilie
■ Irakische Kurdin soll nach Schwerin, Mann und Kinder bleiben in Bremen / „Anwalt: „Verstoß gegen Grundgesetz“ / Behörde hat „keinen Spielraum“
Die deutsche Bürokratie hat wieder zugeschlagen. Dies ist zumindest die Auffassung des Bremer Rechtsanwalts Karim Popal im Falle einer kurdisch-irakischen Frau und ihrer zwei Kinder. Die asylsuchende Kurdin, die ihrem Ehemann nach Bremen nachfolgte, soll sich gleich wieder eine Bahnfahrkarte kaufen. Durch einen Bescheid der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZASt) ist sie verpflichtet, in ein Heim im mecklenburgischen Schwerin zu ziehen. Der Ehemann und die Kinder im Alter von 13 und 16 Jahren sollen dagegen weiter in Bremen untergebracht werden. Der Bremer Anwalt Popal hat eine Aufschubklage eingereicht.
Besonders erregt zeigte sich Anwalt Popal über die Ignoranz der zuständigen Beamten. Die Frau, eine Analphabetin, sei mit einer Unterbringung fernab von der ihr vertrauten Umgebung völlig überfordert. So soll sie allein mit dem Zug nach Schwerin fahren. „Was aber macht sie, wenn sie auf dem Bahnhof aussteigt, und die Schilder nicht lesen kann?“, wunderte sich Popal. Die Behörde habe sich geweigert, der Irakerin eine Begleitung beizugeben – „stattdessen hat man mich ausgelacht“.
Popal will jetzt mit seiner Klage Rücksichtnahme auf die Familienbelange gerichtlich durchsetzen. „Die Trennung verstößt gegen die Verfassung“, findet der Rechtsanwalt. Die Rechte der Familie sind seiner Ansicht nach auch im Asylverfahrensgesetz festgeschrieben. Außerdem existiert eine Gerichtsentscheidung des Verwaltungsgerichtes Minden, die die Zusammenführung einer Frau mit ihren Kindern bereits im vergangenen Jahr ermöglichte.
Die Zentralstelle sieht sich außerstande entweder die ganze Familie gemeinsam unterzubringen oder die Kinder ihrer Mutter zuzuweisen – ein Kompromiß, zu dem die Asylsuchenden bereit wären. Der Grund: Es fehlt am Platz in der Unterkunft. Dabei komme es auf eine Person mehr in der Unterbringung auch nicht mehr an, findet Rechtsanwalt Popal.
Bei der Behörde hält man sich dagegen stur an die Anweisungen. Die können auch schon mal einem Elektronenhirn entspringen: „Wir halten uns an die Computerangaben“, habe man verlauten lassen, berichtete Popal. „Wenn Sie Beschwerden haben, können Sie doch Klage einreichen“, habe man ihm in der ZASt geantwortet.
Doch diese Prozeßhuberei findet Karim Popal überflüssig – und teuer. Für eine Stellungnahme zu dem Fall war in der ZASt bis zum Nachmittag niemand zu erreichen.
Bei der Sozialsenatorin kann man bei dem Fall auch nur mit den Schultern zucken: „Nach dem neuen Asylverfahrensgesetz ist das leider so“, sagte der Ressortsprecher Wolfgang Bayer. „Iraker können in Bremen gar keinen Antrag stellen. Da hat die ZASt auch keinen Spielraum.“ Seit der beschlossenen Beschleunigung haben die neuentstandenen Außenstellen des Zirndorfer Bundesamtes, die die Zuständigkeiten Bearbeitung der Fälle aus verschiedenen Fluchtländer untereiander aufgeteilt. Wenn also eine Irakerin in Bremen einen Asylantrag stellt, dann muß die Bremer ZASt an das nächstgelegene Bundesland verweisen, das den Antrag annehmen darf, in dem Fall nach Mecklenburg-Vorpommern. Innerhalb eines Monats würde dort, so Bayer, entschieden, ob die Antragstellerin in das normale oder das beschleunigte Verfahren geschickt werde. Gesetzt den Fall sie hätte Chancen auf eine Anerkennung könne sie dann wahrscheinlich wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Bayer: „Der Gesetzgeber hält es für zumutbar, daß die Familie noch einmal vier Wochen getrennt ist, wenn sie schon so lange getrennt war.“
Im Moment hält sich die Kurdin noch immer illegal in Bremen auf. Der Grund: Die Beamten waren nicht einmal in der Lage, die Bahnfahrkarte korrekt auszufüllen – sie lautet auf den 24. Januar 1995.
Arvid Friebe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen