Spuren verpaßter Begegnungen

■ Von der Sicherheitspolizeischule zur sowjetischen Kaserne / Eine Ausstellung über die Kaserne Fürstenberg-Drögen in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Gras wächst im Schwimmbad, der Boden des Speisesaals ist mit Schutt übersät, das Casino abgerissen. Zerbeult rostet der „Mobile Kommandostand“. Von der Wand des Krankensaals blättern die Blumen- und Früchtestilleben. Der Alltag der Kaserne versinkt nach seinem Ende. Die Spuren erzählen von der verpaßten Möglichkeit einer Begegnung, die erst wahrgenommen wurde, als es zu spät war. Die Fotografien, die zwischen 1990 und 1993 entstanden sind, bezeugen eine beschleunigte Auflösung.

Am Anfang der Dokumentation über die ehemalige sowjetische Kaserne Fürstenberg-Drögen steht die widersprüchliche Ausstrahlung des Ortes. Jahrzehntelang hatte gerade die Ausgrenzung des Territoriums aus dem Alltag der Umgebung die Aura der militärischen Macht verstärkt. Nun nach dem Abzug der ungefähr 2.000 Mann umfassenden Einheiten plötzlich zugänglich, liefert die Kaserne durch ihren Verfall und den Spuren des Lebens dagegen ein Bild der Schwäche.

Wie Kaufhausangebote wirken die Schinken, Wasserhähne und Glühbirnen, die auf einem Monument der Panzerarmee den Fünfjahresplan illustrieren. Die Funktionsmodelle der Kalaschnikow erscheinen als theatralische Requisiten der Selbstbehauptung durch Waffengewalt. Die naiven Propagandabilder erweisen sich nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion mehr denn je als hilflose Beschwörungsformeln nationaler Identität.

Die Ausstellungstexte von Stefanie Endlich, Annette Leo und Florian von Buttlar, die das Projekt konzipiert und mit Unterstützung des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg realisiert haben, korrigieren allerdings den romantisierenden Blick der Bilder. Interviews mit Bewohnern des Dorfes Drögen resümieren die Entfremdung, die bei wenigen Kontakten wie Ernteeinsätzen oder Straßenbauarbeiten kaum abgebaut wurde. Nicht nur die militärische Geheimhaltung, sondern mehr noch das soziale Ungleichgewicht sorgte für die Aufrechterhaltung der Mauer im Kopf: „Wie hätte man den Angehörigen der Siegerarmee auch erklären können, daß es den Besiegten schon wenige Jahre nach Kriegsende wieder viel besser ging als ihnen und ihren Landsleuten?“ fragen die Autoren.

Als aber 1989, noch vor der Grenzöffnung, die Kaserne geräumt wurde, knüpften sich kurzfristig Hoffnungen an das Gelände, das dem damaligen Bürgermeister von Fürstenberg übergeben wurde. Mit Wohnungsbauten und Gewerbe hoffte man strukturelle Probleme lösen zu können; die Wunschträume reichten gar bis zum Freizeitpark oder Kinderdorf. Die Nutzung des so lange ausgeklammerten Geländes schien eine programmatische Weiche für die Zukunft zu stellen. Aber durch Altlasten wie Öl und Munition im Boden zerplatzten die Pläne. Die Sanierungskosten in zweistelliger Millionenhöhe überfordern die Kommune bei weitem.

Diesem Problem sollte sich die Ausstellung widmen, als sich, beinahe zufällig durch private Kontakte, eine zweite Zeitschicht herausschälte. Die Vorgeschichte der Kaserne im Nationalsozialismus erhöhte das Gewicht der historischen Altlast. Denn die Klinkerbauten der Anlage, die mit ihren Reihenhäusern an eine Siedlung im Heimatstil erinnert, waren 1941 von Häftlingen aus einem Nebenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen gebaut worden und dienten ab 1942 als Sicherheitspolizeischule. Dort wurden Gruppen der lettischen SS als Erschießungskommandos für den Osten ausgebildet. Eine Abteilung der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ organisierte von Drögen aus die Vernichtung der Sinti und Roma. Die Arbeit einer Sonderkommission galt der Erfassung und Zerschlagung der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime. Rekonstruiert wurden diese Fakten aus den Erinnerungen ehemaliger Häftlinge. Dieses Kapitel der Dokumentation veranlaßte ihre Übernahme in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

In einer Rede zur Eröffnung der Ausstellung appellierte Helmut Domke, Bevollmächtigter des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für die Westgruppe der Streitkräfte und Konversion, an die Verantwortung der Bundesrepublik. Nehme man „Konversion“ ernst als Eingliederung der tabuisierten Territorien in ihre Umwelt und Geschichte, dann könne man die Kommunen nicht länger beim Abräumen jener materiellen und moralischen Schuttberge alleinlassen, die aus der langen Verdrängung der Folgen des Faschismus ebenso herrühren wie aus der Zeit des Kalten Krieges. Sonst droht die Vergangenheit die Zukunft aufzufressen. Katrin Bettina Müller

„Fürstenberg-Drögen – Schichten eines verlassenen Ortes“, Stauffenbergstraße 13–14, Mo.–Fr. 9–18, Sa/So 9–13 Uhr. Ende Februar erscheint unter dem gleichen Titel ein Buch in der Edition Hentrich.