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Der Lolly-Cop

■ Kojak lebt: "Einsatz in Manhatten" wieder in der ARD

Als Kind wollte Aristoteles eigentlich Busfahrer werden. Schon der Zwölfjährige, so seine Mutter Christina, lenkte einen vollbesetzten Bus von Brooklyn bis Philadelphia. Doch es kam alles ganz anders: „Eines Tages haben sie mir eine Pistole in die Hand gedrückt, und dabei ist es geblieben“, faßte der gebürtige Grieche, Jahrgang 1924, seine Karriere zusammen. Ähnlich markig und gradlinig geht es auf dem neunten New Yorker Polizeirevier zu, wo Telly Aristoteles Savalas alias Lieutenant Theo Kojak seit 24. Oktober 1973 Dienst schob: „Einsatz in Manhattan“, das Original unter den Polizeiserien, ist zu schade, um es in den Archiven verstauben zu lassen. Die ARD nahm sich daher ein Herz und den Star ohne Haar vor 14 Tagen wieder ins Repertoire. Vermutlich auch, um ihn anläßlich seines siebzigsten Geburtstags zu ehren. Doch den überlebte der Krebskranke nur um einen Tag, vor einer Woche starb er in Los Angeles.

Telly Savalas war eigentlich Psychologe. Nur durch Zufall und seinen europäischen Akzent kam er zum Film, der ihm trotz einiger interessanter Rollen keinen Ruhm einbrachte. Erst mit der eindringlichen Darstellung eines Polizeidetectives in dem TV-Film „The Marcus-Nelson Murders“ wurde Savalas 1973 zum Star. Wegen enormer Publikumsresonanz beförderte das US- Fernsehnetwork CBS Savalas sofort zum Lieutenant: 118mal war bis April 1978 Kahl-Cop „Kojak“, so der Originaltitel der Serie, im „Einsatz in Manhattan“– nicht selten nach Savalas' Drehbüchern, gelegentlich sogar unter seiner Regie. Er war der erste Darsteller von Weltruhm, den das Fernsehen und nicht das Kino hervorgebracht hat.

Das Lenkrad in der rechten Hand, brettert er die Third, Sixth oder Tenth Avenue rauf oder runter. Über Funk erhält er eine Durchsage, und mit links heftet er lässig das Blaulicht aufs Dach. Jetzt wissen wir, daß Kojak wieder irgend einem Kokser, Taschendieb, Zuhälter, Autoknacker, Spitzel, Wettbetrüger, Dealer, Mörder oder Geiselgangster auf den Fersen ist.

Später auf dem Revier umklammern seine klobigen Pranken den Pappbecher mit dampfendem Kaffee. „Seine Nase scheint schon des öfteren Bekanntschaft mit einer Faust gemacht zu haben, seine Ohren stehen von seinem Kopf ab wie die geöffneten Türen eines Taxis, und sein Körper – unter seinen sorgfältig geschneiderten Anzügen – ist unverkennbar ein halbes Jahrhundert alt“, notierte seinerzeit Newsweek.

Auf dem Verhörstuhl windet sich ein Verdächtiger. Ein mieser Typ. Er kommt sich oberschlau vor, geizt nicht mit patzigen Antworten. Er will seinen Anwalt sprechen, natürlich. Doch was der Übeltäter auch ausgefressen hat – möglicherweise hat er seine Großmutter ermordet – nach Kojaks „Befragung“, die über den Mann kommt wie das Jüngste Gericht („Hat dich schon mal einer mit der Nase in die Steckdose gehalten?“) tut er einem ehrlich leid. Und das, obwohl in Kojaks Rede der Euphemismus „Entzückend!“ dominiert. Savalas habe „ständig griechische Slangausdrücke benutzt. Das klang wie ,kutschiku‘ oder so ähnlich. Daraus ist dann mehr durch Zufall das berühmte ,Entzückend!‘ geworden“, erinnert sich sein deutscher Synchronsprecher Edgar Ott (64).

Der rauhbeinige Umgangston spiegelt ein Stück sozialer Realität der Metropole New York. 800.000 Jobs gingen dort zwischen 1969 und 1971 durch den Fortzug großer Firmen verloren. Indem sie den Kommunen keine Kredite mehr gewährten, zwangen die Banken die Stadt finanziell in die Knie. Der Bankrott der Stadt führte zu einschneidenden Kürzungen im sozialen Netz. Die Gefängnisse waren mit 25.000 Insassen überbelegt. Viele der 36.000 Obdachlosen stammten aus der Psychiatrie; sie wurden aus Kostengründen entlassen. Pro Jahr wurde zu dieser Zeit für eine Milliarde Dollar geklaut. Der Verfall des sozialen Systems untergrub jede Achtung vor öffentlichen Einrichtungen und führte zu einem beispiellosen Vandalismus.

In diesem Chaos ist Kojak der Cop, der beherzt durchgreift, aber dabei herzlich bleibt. Als leuchtendes Vorbild trugen die New Yorker Polizisten Savalas daher auf ihren Schultern vorneweg, als sie 1974 auf die Straße gingen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Im Gegensatz zu den naiven Cops aus den Polizeiserien der 60er Jahre (z.B. „FBI“) ist Kojak kein ungebrochener Kämpfer für Law und Order, sondern eher Krisenmanager. Das Neue an der Serie „Einsatz in Manhattan“ war daher die für Fernsehverhältnisse bis dahin ungewohnt präzise Zeichnung des Milieus. Kojak spricht die Sprache der Gosse. In seinen Augen sind Gangster auch Menschen. Selbst wenn ihre Koteletten buschig sind wie Petersilie, ihre an den Oberschenkeln engen, aber unten weiten Zelthosen geschmacklos sind und die lila Paysleyhemden der afro-amerikanischen Dealer in den Augen schmerzen.

Kojak ist die gebändigte Ausgabe des „Maniac-Cops“, eine genuine Erfindung des amerikanischen Krimischriftstellers Ed McBain. In dessen Reihe über das 87. Polizeirevier heißt der glatzköpfige Polizist Meyer. Ebenfalls von Ed McBain stammt die Übernahme von Soap-Elementen in die Serie, die die Zeichnung des Cops menschlicher machen: Um sich das Rauchen abzugewöhnen, greift Kojak immer wieder zu dem berühmten Lolly, in dem seine Glatze eine ironische Dopplung findet. Savalas: „Hätte ich alle gelutscht, die man mir jemals gegeben hat, wäre ich zuckerkrank.“ Jetzt ist er trotzdem tot und wird im Himmel wohl noch mal einen lutschen. Manfred Riepe

„Einsatz in Manhattan“, freitags, 17.55 Uhr. Heute: „Der Gefangene von Alcatraz“ mit Telly Savalas in der Nebenrolle, ARD, 23.25 Uhr.

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