: Wir erschießen unsere Verleger nicht
■ Norwegische Reaktionen auf den Mordanschlag auf Salman Rushdies Verleger
Die Schüsse auf William Nygaard am 11.Oktober 1993 haben die norwegische Öffentlichkeit daran erinnert, um was es bei der Rushdie-Affäre geht: Es geht um Leben und Tod. Um den Mißbrauch einer Religion und um die Fiktion der Gedankenfreiheit. Weil dieser Alptraum nicht von allein verschwinden wird, muß man ihn frontal angehen.
Deshalb auch haben 17 Organisationen und mehrere hundert Schriftsteller, Übersetzer und Verleger am 19.Oktober 1993 eine Petition an die Regierung unterschrieben, in der striktere politische und ökonomische Sanktionen gegen das Regime in Teheran gefordert werden. Zwei Tage später informierte der Außenminister des Landes das norwegische Parlament, daß er in einem Treffen mit dem iranischen Botschafter die folgenden Forderungen der iranischen Regierung hat übermitteln lassen: Sie solle ausdrücklich bestätigen, daß sie die Fatwa nicht unterstützt und nichts unternimmt, um ihre Ausführung zu erleichtern; sie solle ebenfalls ihre Auffassung deutlich machen, daß Moslems in nicht-moslemischen Ländern den Gesetzen des jeweiligen Landes, in dem sie leben, zu gehorchen haben. Und er hat die iranische Regierung außerdem aufgefordert, sich von dem Kopfgeld auf Rushdie zu distanzieren.
Ayatollah Khomeini hat unter norwegischen Moslems nie eine große Anhängerschaft besessen. Dennoch fiel es vielen Moslems, die sich zur Rushdie-Affäre äußerten, schwer, die Fatwa bedingungslos abzulehnen; eine kleine, aber lautstarke Gruppe von Fundamentalisten hat sie offen unterstützt. Selbst sie jedoch haben versichert, daß sie die Gesetze Norwegens achten werden.
Was aber geschieht, wenn die Loyalitäten jemanden zu zerreißen drohen? „Allah gebührt die größere Treue“, sagte ein Sprecher der Shia-Moslems abschließend in einer emotionsgeladenen Fernsehdebatte zwei Wochen nach dem Anschlag auf William Nygaard. Zwar fügte er hinzu, daß er persönlich nicht schießen würde, daß aber Nygaard letztlich gekriegt hätte, was er verdient. Er schlug auch vor, daß Salman Rushdie sich stellen sollte, damit dem Gesetz – der Sharia – Genüge getan würde. Einige Tage nach dem Fernsehauftritt erinnerte der in Pakistan geborene Direktor des antirassistischen Zentrums von Oslo, Khalid Salimi, einigermaßen verzweifelt die norwegische Öffentlichkeit an die vielen Moslems, die sich seit Februar 1989 gegen die Fatwa ausgesprochen haben.
Der Mordversuch an William Nygaard hat in mancher Hinsicht die Stimmung in Norwegen völlig verändert. Als die norwegische Übersetzung der „Satanischen Verse“ in William Nygaards Verlag veröffentlicht wurde, drückten nicht wenige norwegische Intellektuelle ihr Verständnis aus für die, deren religiöse Gefühle verletzt worden seien. Heute sind sie still geworden. Es ist allzu klar geworden, daß diese Diskussion nirgendwohin führt. Bei der Rushdie-Affäre geht es nicht um die Frage, wie weit die Meinungsfreiheit in Hinsicht auf religiöse Gefühle der anderen eingeschränkt werden darf oder sollte. Darum ist es nie gegangen. Es geht um Kugeln gegen Worte. Der Mordversuch an William Nygaard ist der erste dieser Art in Norwegen gewesen. Wir erschießen unsere Verleger nicht. Das Land reagierte mit Fassungslosigkeit und Wut. Und diese Reaktion wird auch nicht nachlassen, solange das Verbrechen nicht aufgeklärt ist und die Fatwa nicht aufgehoben. Die Regierung von Norwegen hat sich wenige Tage später dazu verpflichtet, ihren Forderungen an den Iran durch die Vereinten Nationen Nachdruck zu verleihen. Am 28.Oktober 1993 hat die Kulturministerin Åse Kleveland den ersten Schritt in diese Richtung getan und die Rushdie-Affäre auf der Generalversammlung der Unesco in Paris zur Sprache gebracht. Die Rushdie-Affäre muß von der internationalen Gemeinschaft gelöst werden. Wir wissen nicht, wer die Schüsse auf William Nygaard abgegeben hat, aber wir wissen, wer ihn und 12.000 andere Verlagsmitarbeiter und Übersetzer, die Freunde Salman Rushdies, zu Angriffszielen gemacht hat. Håkon Hårket
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