: KP Frankreichs: Einsamer als je zuvor
Beim Parteitag der KPF blieben viele Stühle leer / Von „schneller Demokratisierung“ der Partei kann nicht die Rede sein / Der Nachfolger von Georges Marchais ist noch unklar ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Hat der Kapitalismus noch eine Zukunft?“ – „Wächst die Arbeiterklasse weiter?“ – „Ist die Partei noch ein Werkzeug?“ Die Fragen, die seit Dienstag im Sportzentrum von Saint Ouen diskutiert werden, sind die gleichen geblieben. Unverändert sind auch die phänomenalen Abstimmungsergebnisse, wie die 96 Prozent Zustimmung zu dem „Manifest“, das die kommunistische Politik der nächsten Jahre festlegt. Trotzig ignorieren die über 1.700 Delegierten aus allen Teilen Frankreichs, daß sie einsamer sind als je zuvor in ihrer 74jährigen Parteigeschichte. Erst hat die Hälfte ihrer WählerInnen sie verlassen. Dann sind die kommunistischen Bruderstaaten einer nach dem anderen von der politischen Weltkarte verschwunden. Und jetzt stellt sich auch noch ein gewichtiger Teil der eigenen Führungselite aus Partei und kommunistischer Gewerkschaft CGT gegen die KPF.
Zahlreiche Stühle in dem Sportzentrum der Pariser Arbeitervorstadt Saint Ouen, wo die KPF seit Jahren ihre Kongresse zelebriert, sind dieses Mal leer geblieben. Manche Delegierte haben schon vor dem Parteitag die Hoffnung auf eine Demokratisierung ihrer Partei aufgegeben. Marcel Trigon, der seit Jahren mit soliden Mehrheiten zum Bürgermeister von Arcueil, einer anderen Pariser Vorstadt, gewählt wird, ist einer dieser Resignierten. Vor einer Woche kündigte Trigon seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Fraktion seines Rathauses auf. „Ich bleibe Kommunist“, sagte er. Doch zum Parteitag erschien Trigon schon nicht mehr.
Dissidenten gibt es auch an der Spitze anderer kommunistisch regierter Rathäuser in der Pariser Banlieue. Es sind Genossen, die zeit ihres Lebens Kommunisten waren, irgendwann einmal eng mit dem scheidenden Generalsekretär Georges Marchais zusammengearbeitet haben und oft selbst für frühere Säuberungen in der Partei mitverantwortlich waren. Erst gegen Ende der 80er Jahre stießen die meisten von ihnen zu den Dissidentenkreisen in ihrer Partei, deren prominentester Fürsprecher der frühere kommunistische Transportminister Charles Fiterman wurde. Fiterman verlangte eine Öffnung der Partei, er wollte eine schnellere Demokratisierung. Und er wußte zugleich, daß er auf ein „Wunder“ wartete, wie er vor wenigen Tagen erklärte. Mit vielfach sorgenzerfurchter Stirn saß er bis Donnerstag vormittag auf der für die Mitglieder des Politbüros reservierten Tribüne. In seinem letzten Redebeitrag ließ er durchblicken, daß er künftig keine Führungspositionen mehr übernehmen werde. Anschließend verschwand er vom Kongreß. Gleich Fiterman kündigten Funktionäre der CGT, des einstigen „Transmissionsriemen“ kommunistischer Politik in die Betriebe, an, daß sie künftig keine Spitzenfunktionen mehr übernehmen wollten. Die CGT ist immer noch die stärkste Gewerkschaft Frankreichs. Mit ihrem Streik gegen die Entlassungen bei Air France hat sie Ende vergangenen Jahres einen großen Sieg erkämpft. Kommunistische Lehrergewerkschaften waren auch maßgeblich an der riesigen Demonstration vor zwei Wochen in Paris für die Stärkung des staatlichen Erziehungswesens beteiligt. Doch trotz aller Erfolge – auch die CGT leidet unter Mitgliederschwund. Und einige Parteichefs wollen den „Gewerkschaftschefs immer noch Direktiven geben“, wie Alain Obadia, ein Spitzenmann der CGT, sagt.
„Die Politik des leeren Stuhls hat noch nie etwas gebracht“, sagt Jean-Louis, Delegierter aus dem südfranzösischen Beziers, zu dem Verschwinden der Dissidenten. „Wir sind traurig, und wir laden sie ein, zurückzukommen und mit uns zu diskutieren“, meint eine bretonische Delegierte. Aber unter den Zurückgebliebenen herrscht das Gefühl vor, zu der überlegenen Mehrheit zu gehören. „Die Dissidenten“, erklärt eine Delegierte aus dem französischen Norden, „können nicht ertragen, daß sie in der Minderheit sind. Deswegen gehen sie.“
Das Schicksal der aufeinanderfolgenden Dissidentengenerationen der KPF ähnelt sich. Wer ging, verschwand meist in der politischen Bedeutungslosigkeit – außerhalb der KPF etablierte sich keine neue kommunistische Partei. Die letzte große Austritts- und Rausschmißwelle war Mitte der 80er Jahre. Damals waren die Kommunisten gerade aus der gemeinsamen Regierung mit den Sozialisten ausgeschieden, und es gab heftige interne Kritik an Marchais. Wenn sich Fiterman schon damals an die Spitze der Dissidenten gestellt hätte, wäre die Geschichte der KPF anders verlaufen, sagen heute viele. Doch Fiterman blieb 1984 stumm.
Im Sportzentrum von Saint Ouen weint ihm heute scheinbar niemand hinterher. Immerhin hat die Partei ja noch knapp 600.000 GenossInnen, und zu tun haben die auch: „Der Kapitalismus ist weltweit in der Krise“, sagt eine Delegierte, „da müssen wir eine Antwort finden.“
Heute wird der nächste Parteichef gewählt. Er wird nicht mehr „Generalsekretär“ heißen, wie Marchais, sondern „nationaler Sekretär“, das sieht die Reform der Statuten vor. Drei Männer kommen nach den Gerüchten in die engere Wahl – alle drei sind enge Vertraute von Marchais. Tradition verpflichtet.
Siehe Portrait auf Seite 11
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