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Sehschule und Augenschmaus

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum stellt den Altar-Maler Stefan Lochner aus  ■ Von Werner Köhler

Die mittelalterlichen Ikonen der ständigen Sammlung sind nur einen Katzensprung weit von den Pop-art-Leihgaben Ludwigs entfernt: Es scheint, als würde sich alle Malerei im Kölner Wallraf-Richartz-Museum vereinen. Daß mit dem räumlichen auch ein zeitliches Nebeneinander der Positionen gewahrt bleibt, davon zeugen die Bilder Stefan Lochners. Mit dem spätgotischen Maler erreichte die Kölner Malerschule bereits Mitte des 15. Jahrhunderts internationale Größe. In einer Lochner gewidmeten Ausstellung – der ersten seit 1936 – sind jetzt über 70 Gemälde aus seinem Umkreis, dazu Grafiken und Buchmalereien zusammengetragen worden. Das Spektrum reicht von möglichen italienischen Vorbildern aus dem späten 14. Jahrhundert über bekannte Namen wie Robert Campin (Meister von Flémalle), Jan van Eyck, Rogier van der Weyden und Petrus Christus bis hin zum großen Danziger Weltgerichtsaltar von Hans Memling aus der Zeit um 1470.

Dokumente über das Leben Lochners sind spärlich. Man vermutet, daß er um 1400 am Bodensee geboren und nach einer Lehr- und Wanderzeit, die er wahrscheinlich in den Niederlanden verbrachte, um 1437 in Köln ansässig wurde. Dort ist er seit 1442 urkundlich verbürgt und wurde mehrmals in den Rat der Stadt gewählt. Im Sommer 1451 starb Lochner in Köln an der Pest.

Seine bedeutendsten Werke, der „Dreikönigsaltar“, die „Rosenhagmadonna“, die „Veilchenmadonna“ und der „Weltgerichtsaltar“, sind im Besitz Kölner Institutionen und in der Ausstellung bzw. parallel dazu an ihren angestammten Plätzen im Diözesanmuseum und im Dom zu sehen. Hauptwerke wie die „Darbringung im Tempel“ aus Darmstadt und die zum „Weltgericht“ gehörenden Tafeln aus München konnten leider nicht ausgeliehen werden. Dafür wird der Besucher durch das in Einzelblätter zerlegte Stundenbuch Lochners aus der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt entschädigt, das mit seinen 35 wunderschönen Miniaturen einen wahren Augenschmaus bietet. Lochners Kunst ist durch klare, die Symmetrie betonende Komposition, anmutige, zarte Zeichnung der Figuren, nuanciert aufeinander abgestufte Farben sowie die Liebe zu feinmalerischen Details gekennzeichnet. Eines seiner schönsten Bilder, die „Rosenhagmadonna“ aus dem Wallraf-Richartz- Museum, zeigt die von musizierenden Engeln umgebene Gottesmutter vor einem Rosenspalier im „hortus conclusus“, dem geschlossenen Garten. Das Gold und Rot des kostbaren Brokatvorhangs im Hintergrund fügt sich mit dem Grün der Bodenbepflanzung, dem Blau, Gelb, Rosa und Rot der Gewänder, Edelsteine, Engelsflügel und dem Weiß des Inkarnats zu einer herrlichen Farbsymphonie zusammen. Das Auge kann sich an feinsten Details, ins Grün gesetzten kleinen Erdbeeren, Veilchen und Maßliebchen oder der Darstellung der „Dame mit dem Einhorn“ in den Lichtpunkten der Brosche der Jungfrau, delektieren.

Nachwirkungen des „Weichen Stils“, einer vor 1400 einsetzenden internationalen Entwicklung spätgotischer Kunst, die durch betont schönlinige Darstellungen von Figuren und Gewändern gekennzeichnet ist und damit das Heilsgeschehen insgesamt „entstofflicht“ und „vergeistigt“, sind in diesem Bild wie im übrigen Werk Lochners deutlich spürbar.

Insgesamt stellt die von Frank Günter Zehnder konzipierte Kölner Ausstellung eine hervorragende „Sehschule“ für spätmittelalterliche Malerei dar. Auch ohne Detailkenntnis der Epoche wird der Besucher verführt, die technisch sehr unterschiedlichen Bilder der verschiedenen Künstler miteinander zu vergleichen. Die Bilder des „Meisters des Heisterbacher Altars“ beispielsweise – in der kunsthistorischen Forschung ist unsicher, ob er Schüler, Zeitgenosse oder vielleicht auch Vorläufer von Lochner gewesen ist – überraschen durch eine völlig modern erscheinende Farbgebung. Und auch der Himmel einer Darstellung der Hl. Ursula erscheint in seinem Farbverlauf von weiß bis türkis mehr den transzendenten Farbfeldern von Mark Rothko verwandt, als in das 15. Jahrhundert zu gehören. Im Gegensatz dazu erschreckt ein Bild wie die „Clevelander Madonna“ – sie galt lange als Frühwerk Lochners, wurde diesem dann abgeschrieben und ist nun „oberrheinisch, um 1440/50“ datiert – durch emaillehafte Glätte und eine vakuumartige Leere in der Komposition. Einen abschließenden Höhepunkt der Ausstellung bildet der Danziger Altar von Hans Memling mit seiner dramatischen Darstellung des Jüngsten Gerichts, wo Christus als Weltenrichter, unterstützt vom Erzengel Michael, die Menschheit in die Seligen und die zur Hölle Verdammten scheidet. Memlings Bild, das in der Nachfolge von Lochners „Weltgericht“ steht, einmal mit diesem direkt vergleichen zu können, ist ein nicht bloß kunsthistorisches Erlebnis.

Zum Abschluß der Ausstellung wird in Köln Ende Feburar ein wissenschaftliches Kolloquium stattfinden, in dem strittige Fragen der Lochner-Forschung behandelt werden. Das mit Sicherheit größte Problem hat Michael Wolfson ausgeführt. In seinem Beitrag zu dem hervorragend durchgearbeiteten Ausstellungskatalog bezweifelt er, ob der urkundliche Stefan Lochner überhaupt der Urheber der ihm zugeschriebenen Werke ist. Tatsächlich beruht der Konnex des Namens mit den Bildern auf einer ziemlich wackligen Indizienkette. Ihren Ausgang nimmt sie in einem Tagebucheintrag Albrecht Dürers, der 1520, nach dem Tode Kaiser Maximilians, in die Niederlande reist, um seine Rente bestätigen zu lassen und dabei einen Zwischenstopp in Köln einlegt. Um den Überblick über seine Reisespesen nicht zu verlieren, führt er Buch: „... hab 2 gulden wert kunst des herrn Zigler Linhart geben. Ich hab 2 weißpfennig den barbirer geben. Ich hab 3 weißpfennig, item hab 2 weißpfennig geben von der Taffel auff zusperren, die maister Steffan zu Cöln gemacht hat. Ich hab 1 weißpfennig dem poten geben und 2 weißpfennig mit dem geselln vertruncken ...“

Aufgrund dieses Eintrags stellte 300 Jahre später der Historiker J.F. Böhmer die These auf, die gemeinte „Taffel“ müsse der Altar der Kölner Rathauskapelle gewesen sein, der zwischenzeitlich vor den Truppen Napoleons in den Dom gerettet wurde. Dieser nunmehr als „Dombild“ bezeichnete Altar wurde dann 1852 mit dem aus Kölner Urkunden bekannten Stefan Lochner in Verbindung gebracht. Seitdem wurde, wie Wolfson anmerkt, diese Indizienkette „so oft wiederholt, daß sie zum Faktum wurde“. Die Zuschreibungen sämtlicher anderer Bilder erfolgten aufgrund von Stilvergleichen. Vielleicht ist die Kölner Ausstellung also die letze, die unter dem Titel „Stefan Lochner“ firmieren wird. Zumindest darf man gespannt sein, wie der Expertenstreit ausgeht.

Ekkehard Mai, stellvertretender Direktor des Wallraf-Richartz- Museums, erinnerte vor kurzem daran, daß im Verteilungskampf um die Kulturetats die Museen mit alter Kunst nicht auf Kosten der Förderung spektakulärer Ausstellungen moderner Kunst in den Hintergrund gedrängt werden dürften. Die Lochner-Ausstellung bietet ein anschauliches Argument in dieser Richtung.

Bis 27.2. im Wallraf-Richartz-Museum, Köln. Der sehr zu empfehlende Katalog kostet 48 DM.

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