: Kampfplatz Schule
Koedukation verbildet – Eine Ausstellung im Schulmuseum ■ Von Andrea Kern
Früher, als wir noch wußten, was rechts und was links ist und was einen Mann klarerweise von einer Frau unterscheidet, da schien uns vor allen Dingen ein Unterschied nicht nur wichtig, sondern fraglos richtig: der zwischen reaktionärem Bewußtsein und emanzipatorischer Kritik. Wenn heute dagegen einst für reaktionär befundene Ideen als nachgerade kritische Einsicht wieder auf den Plan treten, sieht keiner mehr so recht, wes Geistes Kind der Gedanke hier eigentlich ist.
So konnte lange Zeit niemand daran zweifeln, daß die nach dem Krieg in Deutschland allgemein eingeführte Koedukationspflicht an den Schulen ein unumstößlich richtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung war. Wenn schon nicht das Paradies auf Erden, so versprach die Aufhebung der nach Männlein und Weiblein getrennten Klassenverhältnisse den beiden Geschlechtern immerhin wenigstens formal die Grundlage für gleiche Chancen an den Pforten zur Welt.
Was die feministische Schulforschung in den letzten Jahren zu Tage gefördert hat, ist nun allerdings fatal: Die gemeinsame Erziehung hat nicht nur nichts gebracht, schlimmer noch, der Schuß ging geradewegs nach hinten los. So jedenfalls sieht es das Schulmuseum Berlin in seiner derzeit laufenden Ausstellung „Die Bildung der Mädchen“. Die AusstellungsmacherInnen halten sich dabei nicht lange mit einer Dokumentation der Geschichte eben dieser Bildung auf, sondern setzen direkt bei der gegenwärtigen Koedukationsdebatte an. Was ausgestellt wird, ist im Grunde die These, daß die Bildung der Mädchen immer auch, und gerade unter Bedingungen der Koedukation, eine (Ver-)Bildung zum Mädchen ist. Den Versprechungen der Koedukation zum Trotz gehen Mädchen in eine Jungenschule.
Der erste Ausstellungsraum ist theatralisch als Arena gestaltet. Man geht auf Sandboden, von den Wänden herab gaffen die Zuschauer, und in der Mitte wird mit Zeitungsberichten, Statistiken und Unterrichtsfotos der Krieg belegt, der zwischen Jungs und Mädels in den Schulsälen tobt. Die Schule als Kampfplatz, bei dem als Verliererin stets das Mädchen auf der Strecke bleibt, das spricht den emanzipatorischen Hoffnungen des Koedukationsmodells nun zweifellos Hohn. Tatsache ist, und das können auch die Verteidiger der Koedukation nicht leugnen, daß Mädchen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern kaum den Mund aufmachen und in den entsprechenden Berufen nur selten vertreten sind.
Aus zwei X wird nix
Das Mathematik-Buch des Schroedel-Verlags von 1991, das Frauen nur entweder als Schlagersängerin oder als Garderobenfrau kennt, wogegen Männer Landwirt, Vertreter, Seeräuber – eben alles mögliche sind, bezeugt konkret, wie der Weg zum Lernstoff das Mädchen in die Welt der Männer zwingt. Um zu lernen, wie man eine Gleichung nach X und Y auflöst, muß es vor allem mitlernen, daß aus zwei X allein nichts Vernünftiges werden kann.
Und was sich im Unterricht abspielt, ist eine wilde Jagd nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, die immer noch vorwiegend der vorlaute Knabe einheimst – der Einschätzung der LehrerInnen zum Trotz. Denn wenn das Mädchen zur Mathematikaufgabe, die ihr der Natur nach so ferne liegt [das Mathematik-Gen kriegt die moderne Gentechnik auch noch in den Griff, säzzer], mehr als nur ein nettes Gesicht macht, sehen sie die Symmetrie der Geschlechter schon wieder hergestellt.
Der Schluß, den die Ausstellung daraus zieht, ist die Notwendigkeit einer Reform des Koedukationsmodells. In ihren Augen bildet die gegenwärtige Schulpraxis kein Korrektiv gegen die tradierten Geschlechterrollen. Die AusstellerInnen fordern die Wiedereinführung eines wenigstens zeitweise geschlechtsgetrennten Unterrichts, insbesondere in den Fächern, die gewissermaßen einen geschlechtlichen Index tragen [wie Kochen, Handarbeiten und ähnliche Kernfächer des Unterrichts, säzzer]. Wer nicht berücksichtigt, ob dort ein Junge oder ein Mädchen wissen will, wie man die Stromstärke berechnet oder einen Computer programmiert, der perpetuiert nur ewig den Mißstand, daß der eine immer schon weiß, was die andere bis dahin noch überhaupt nicht begriffen hat.
Lüstling Junge?
Was aussieht wie ein Rückfall ins letzte Jahrhundert, ist also tatsächlich kein neokonservativer Aufbruch zurück zu geschlechtsgetrennten Zeiten, sondern die kritische Forderung nach einer Politik der Differenz.
So eindringlich die Ausstellung auch das Scheitern des koedukativen Modells belegt, so deutlich offenbart sie doch ungewollt die problematische Voraussetzung, mit der die Koedukations-Kritik operiert: das Bild vom Jungen als einem aggressiven Wüstling und Lüstling, der über die wachsenden Brüste der Mädchen spottet, mit häßlichen Zoten durchs Klassenzimmer rüpelt und kampfbereit den Unterricht beherrscht.
Eigentlich, so scheint es, will diesen pubertierenden Knaben niemand so recht unterrichten, aber wenn schon, so meint man, dann wenigstens nicht mehr gemeinsam mit den Mädchen. Einmal abgesehen von dem Märchen, das einem hier vom bösen Wolf und dem braven Rotkäppchen erzählt wird, bleibt doch fraglich – und das wird leider nirgends reflektiert –, ob ein den Mädchen gewährter Schonraum den Krieg der Geschlechter wirklich mildert oder nicht vielmehr verstärkt. Denn eins können die beiden während der geschlechtsgetrennten Erziehung bestimmt nicht lernen: den Umgang miteinander.
„Die Bildung der Mädchen“, noch bis 29.4., Di.–Fr. 9–16 Uhr, Sa. und So. 11–17 Uhr; Schulmuseum Berlin, Wallstraße 32, Mitte.
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